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■ Wolfgang Schäuble (CDU) wird künftig weder für das Amt des Fraktions- noch des Parteivorsitzenden seiner Partei zur Verfügung stehen. Der pflichtversessenene Politiker musste zur Kenntnis nehmen, dass die Unionsabgeordneten ihn nicht mehr haben wollenEnde einer Dienstfahrt

Um 15:02 Uhr sitzt Dr. Wolfgang Schäuble wieder auf seinem Platz im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Vor weniger als einer halben Stunde hat er den Abschied von den zwei Ämtern verkündet, die nicht nur die höchsten seines Lebens waren, sondern über lange Zeit auch seine liebsten. Wolfgang Schäuble wird nicht länger CDU-Partei- und -Fraktionsvorsitzender sein. Jetzt nimmt er an einer aktuellen Stunde teil, als habe der dramatischste Einschnitt in seinem politischen Leben nicht stattgefunden. Die Ellenbogen in vertrauter Manier auf sein Pult gestützt, lauscht er scheinbar konzentriert den Ausführungen eines FDP-Politikers zum angemessenen diplomatischen Umgang mit der Republik Österreich. Was könnte es am Tag der eigenen Beerdigung Wichtigeres geben?

Wahrscheinlich fühlt Wolfgang Schäuble sich sogar gut. Nicht in einem jubilanten Sinne natürlich, doch das entsprach auch in ruhigeren Zeiten nicht seiner Art. Eher schon geht es dem Pflichtmenschen wie jenem römischen Feldherrn, der nach vollendeter Großtat im Dienste des Staates an den Pflug auf seinem Acker zurückkehrte. Nun gibt es den kleinen Unterschied, dass jener Römer seiner Sache einen Sieg bescherte. Doch auch der Baden-Württemberger demonstriert Einfachheit an einem Tag, da alle von ihm den dramatischen Gestus erwarten. Und so kehrt der Abgeordnete S. aus dem Wahlkreis Offenburg um 15:02 Uhr in das Rund des Plenarsaals zurück. Wolfgang Schäuble hat zwei Ämter verloren – und die nächste Rolle schon gefunden.

Wie anders erklärt sich jenes seltsame Lächeln? Immer wenn es wirklich heikel wurde bei seiner Operation „Aufklärung“, konnte man den CDU-Vorsitzenden in einer Weise lächeln sehen, die den Ernst der Lage zu karikieren schien. In diesen Momenten wirkt Schäuble, als könne er schon eine Wirklichkeit erblicken, die seiner Umwelt noch verborgen ist. Das war so, als er im Fernsehen eingestand, selbst einhunderttausend Mark vom Waffenhändler Schreiber genommen zu haben. Das ist so, als er am Mittwoch kurz nach halb drei die Bühne im Fraktionssaal 3N 001 betritt. Keine Fragen bitte, heißt es von Anbeginn, und dann referiert der Chefaufklärer der CDU. Schwerste Krise der Partei, Aufklärung schwierig und schmerzhaft. Vertrauen zurückgewinnen. Die Worte plätschern wie immer, seit Helmut Kohls Kronprinz sich anschickte, das System seines Vorgängers auseinanderzunehmen. Längst wissen die Journalisten im Saal, dass der Mann auf der Bühne seinen doppelten Rückzug ankündigen will. Aber wann tut er es? Als es passiert, ist der Satz schon fast wieder vorbei: Am besten diene er dem Neuanfang, wenn er nicht wieder kandidiere. „Das weitere Verfahren wird in einer Sitzung der Fraktion am Freitagmorgen besprochen und beschlossen werden.“ Es folgen knappe Erinnerungen an vergangene Erfolge, Dank und warme Worte. Abgang.

Keine 24 Stunden vorher war derselbe Reichstags-Saal 3N 001 fast leer. Zurückgeblieben war nur eine einsame Gestalt, ein Zeuge der tumultartigen Auseinandersetzungen, die im Laufe des Dienstagnachmittags das politische Schicksal Wolfgang Schäubles seinem abrupten Ende zuführten. Der Abgeordnete Norbert Lammert war auf der Tagesordnung der CDU-Fraktionssitzung nur für eine nachgeordnete Rolle vorgesehen. Als Berichterstatter zu Punkt 4, „Geplante Kunstinstallation im nördlichen Lichthof“ des Reichstags, sollte der Politiker aus Nordrhein-Westfalen sprechen. Tatsächlich wurde er an diesem Dienstag zum Todesboten. Aus Lammerts Mund erfuhr Schäuble, dass ein großer Teil der Abgeordneten seinen Rücktritt wünscht.

Wie hat Wolfgang Schäuble reagiert? Norbert Lammert presst den Papierstapel aus Zeitungen und Sitzungsunterlagen an seine Brust. Seine Zähne bearbeiten die Unterlippe, die Hand zupft am Adamsapfel. „Die Art und Weise, mit der der Wolfgang Schäuble das aufgenommen hat, hat mir enorm imponiert“, sagt der Überbringer der schlechten Nachricht.

Es gehört zu den sonderbaren Momenten dieses Tages, dass der Fraktionsvorsitzende nichts ahnend in dem einen Raum mit seinen Vorstandskollegen konferierte, während im Zimmer nebenan sein Untergang besiegelt wurde. Dort tagte die Landesgruppe NRW, deren Vorsitzender Norbert Lammert ist. Dort kristallisierte sich als Erstes der wabernde Unmut der letzten Tage zu einer Rücktrittsforderung an Schäuble.

„Beschlossen haben wir gar nichts“, beharrt Lammert hinterher fast trotzig. „Das wäre schon wieder unangemessen.“ Doch das Stimmungsbild in der größten Landesgruppe der Unionsfraktion ist eindeutig. Schäuble muss gehen. Lammert wechselt den Raum, eilt in die parallel stattfindende Sitzung des Fraktionsvorstandes, dem er ebenfalls angehört. Jetzt erst erfährt Schäuble die Wahrheit: Seine Fraktion will ihn nicht mehr. Lammert schildert dem Fraktionschef das Ausmaß des Widerstandes unter den Abgeordneten. „Das entspricht meinem Stilempfinden“, sagt der 51-Jährige.

Ehrenmänner wollen sie hinterher alle gewesen sein. Wer auch immer in der CDU-Fraktion Hand angelegt hat beim Gruppenmord am Vorsitzenden, legt Wert darauf, es sei alles ganz sauber vor sich gegangen. Von „Eleganz“ spricht ein Abgeordneter, wie ein Florettkampf seien die Auseinandersetzungen geführt worden, kunstvoll und mit Anstand. Nachdem Schäuble vom Verdikt der Nordrhein-Westfalen erfahren hatte, habe er selbst Neuwahlen zum Fraktionsvorstand vorgeschlagen.

Lediglich beim Zeitpunkt mussten die Abgeordneten ein wenig nachhelfen. Zwei Schleswig-Holsteiner baten, nicht erst nach ihrer Landtagswahl am 27. Februar, sondern schon davor die Erneuerung zu wagen. Der Beifall war allgemein und überwältigend, die Entscheidung gefallen. Keine Hand hat sich zum Mord an Wolfgang Schäuble gerührt, sondern mit einer Woge von Applaus haben die Abgeordneten ihren Vorsitzenden aus dem Amt gespült.

Patrik Schwarz

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