Glück im Spiel

Wundervoll, komisch, aber unterfordert: Sandra Strunz mit „Parzival“ auf Kampnagel  ■ Von Ralf Poerschke

Was für ein Gesocks da auf dem Bolzplatz rumhängt: die Frauen so was von schlampig, angetan mit Pumps und Stutzen und rosa Unterkleid, die Kerle tragen schwarze Adidas-Jacken zu silbergrauen Trainingshosen, Nietenarmband, Arschlochbart und Kohler-Trikot. Den Jungen mit den kurzen Hosen lässt die Gang natürlich nicht mitbolzen, und wie die im rosa Unterkleid auf einmal aus dem Kaffeesatz zu lesen beginnt und alle anfangen, ziemlich getreu den Parzival des Wolfram von Eschenbach nachzuspielen, das ist eines jener rational nicht zu erklärenden Theaterwunder, für die in Deutschland (und in der Schweiz) die in Hamburg diplomierte Regisseurin Sandra Strunz zuständig ist.

Das Setting, wie die beiden letzten Strunz-Arbeiten liebvoll und detailversessen ausgestattet von Annette Kurz (Bühne) und Veronika Seifert (Kostüme), erscheint zunächst als größtmögliche Entfernung von seinem (literatur-)historischen Gegenstand, doch das Gegenteil ist der Fall. Verstehen wir das seltsame Rittergehabe vor 800 Jahren um Ruhm, Ehre und oberflächlichen Glanz nicht dann besser, wenn wir einen Blick auf den von Gewalt und Markenwahn beherrschten Teil heutiger Jugendkultur mit ihren Hackordnungen blicken? Und umgekehrt? Und geht es nicht immer um die Suche nach dem großen Glück, wo wir doch noch nie wussten, was das eigentlich ist, und um die kleinen Glücksmomente, die man stattdessen findet und die auch gar nicht schlecht sind? So führt uns die Regisseurin – wie stets erzählend und erzählend und erzählend – durch ihr Stück, das der Dramaturg Niklaus Helbling aus den fast 20.000 Versen der Dieter-Kühn-Übertragung aus dem Mittelhochdeutschen blitzsauber herausdestilliert hat.

Natürlich wechseln die Schauspieler immer wieder mutwillig die Ebene, der rote Ritter (Clemens Schick) fragt, nachdem ihn Parzival (Oliver Bokern) bezwungen hat, ob er jetzt überhaupt noch mitspielen darf, der DJ-Torwart Schionatulander (ein begnadeter Geräuschemacher: Theo Nabicht) macht auf technische Probleme aufmerksam, Susanne Pollmeier findet ihren Part als Gralsbotin Cundrie total bescheuert, und im Laden der Abenteuer-Verkörperung „Frau Aventiure“ (Irene Eichenberger) kann man Chips und Cola kaufen. Durch diese Reibung entstehen super Witze, und der Klamauk als Stilmittel ist Sandra Strunz ja auch alles andere als fremd: Sie treibt ihre Akteure in peinlichste Situationen und spornt sie zu erschreckenden Albernheiten an, denn sie weiß: Nur wer wagt, gewinnt.

Aber es gibt da auch Augenblicke von ehrlich ergreifender Melancholie, von Schmerz, und in diesem Zusammenhang muss die Rede sein von Oliver Bokern als Parzival: entzückend naiv, beinahe dumm, doch eine gefährliche Kraft in sich tragend, tief im Innern ernsthaft strebend, während er äußerlich nur spielt, dann heillos verzweifelt, jämmerlich Gott lästernd („ich bin voller Hass auf den Schiri“). Spätestens mit dieser Rolle hat sich der 26-Jährige für eine ganz steile Karriere empfohlen, und seine Berufung ins Schauspielhaus-Ensemble zum August kommt längst nicht von ungefähr. Die anderen Schauspieler an diesem Abend sind nicht minder gut aufgelegt, spielwütig nachgerade, obzwar sie nicht so viele Facetten zeigen dürfen.

Dass hier am Ende der Gral nicht hält, was er manchem vielleicht insgeheim versprochen hatte, war ja irgendwie klar: Anstatt dass „jetzt alles wegfliegt“, säuselt vom Himmel her nur eine profane Meditations-Kassetten-Stimme. Und dass Frau Aventiure spektakulär von Außerirdischen entführt wird, ist vor allem deswegen sensationell, weil mithin ihr Laden geplündert werden kann. Und dann bolzen alle gemeinsam, auch der Junge mit den kurzen Hosen, der Held von eben, darf nun mitspielen. Ein schöner, runder, ein bisschen naiver Schluss – und ein so lakonischer. – Aber wars das schon? Vor einem Jahr faszinierte Sandra Strunz auf Kampnagel anlässlich ihrer Inszenierung Lucas, Ich und Mich auch und gerade damit, wie traumwandlerisch sicher sie schwierigste, komplexeste Stoffe zu vermitteln weiß. Das fehlte bei Parzival, die Geschichte ist im Grunde einfach und glatt. Kann es sein, dass die Regisseurin diesmal schlicht unterfordert war?

noch heute bis Sonntag sowie 23. bis 26. Februar, 19.30 Uhr, k1