: Ende gut Alles gut
Sie malen Ufos, Prinzessinnen und Onkels im Knast. In Tiergarten sind Bilder von behinderten Kindern zu sehen ■ Von Franziska Reich
Er will Wasser, ein Kind und eine Frau fressen. Aber dann will er sie doch nicht fressen, und die Frau und das Kind gehen nach Hause. Das erzählt Heikes Kurzkrimi, und sie hat ihn gemalt. Sie ist 15 Jahre alt, lernbehindert und bemitleidet Kelly-Angelo. Weil die Kelly Family ihr 25. Jubiläum feiert und Angelo erst 22 ist.
Heike trägt Angelo im Portemonnaie und hat ihm beim letzten Konzert die Hand geschüttelt. Danach musste sie aufs Klo. „Du bist der Bär“, sagt Heike zu Salome. Salome Haettenschweiler ist Künstlerin. Mit Ledermütze, riesigen Ohrringen und „zwei Bausteinen“ in ihrem Leben – ihrem Atelier und ihren Kindern. Sie unterrichtet sie seit einem Jahr, damit sie lernen, wie sie ausdrücken, was sie sehen und was sie träumen. Das malen sie. Weil es gemalt schön aussieht. Und leicht. Das erzählen sie nicht. Weil es erzählt manchmal merkwürdig klingt. Und schwer fällt.
Die Kinder erzählen:
Vom großen Bruder, der abhängig ist von Drogen, die blubbern. Vom Rollerbladen. Vom Onkel, der im Knast sitzt. Von dicken Bäuchen.Vom Vater, der die kleine Schwester schlägt – bamm! – ,weil sie nervt.
Auf Jasminas Bild geht die Sonne unter – ein breiter gelber Streifen mit einem riesigen gelben Ball, oben blau der Himmel, unten blau das Meer.
Kevin hat Tannenbäume gemalt und zwei Sonnen und einen Mann und eine Frau, die Verstecken spielen mit den Kindern. Die Haifamilie von Janine frisst kleine Kinder – riesiger Hai vorne, kleiner Hai hinten. Lila, Braun und Weiß mischen sich zum Sand am Strand im Libanon. „Ich und meine Mutter“ hat Mohammed sein Bild genannt. Und bei Manfred schwimmt die Titanic immer wieder dem Eisberg entgegen. Er hat den Film 50 Mal gesehen, sagt er.
Manfred mag Tragik. Leyla mag den Schleier der schönen Prinzessin. Heike mag, dass der Bär nicht die Frau frisst und auch nicht das Kind. Und Janine mag pinke Ufos mit Augen und Mündern. Das alles malen sie, und ihre Kunst ist schön, weil sie bunt ist und Geschichten erzählt.
Kunst ist wichtig für diese Kinder, weil Kunst Schätze ausgräbt, und Salome Haettenschweiler hat selten so viele Schätze ausgegraben wie mit den Kindern des Sonderschulbereichs der Wartburg-Schule. Auf der Wartburg pflegte einst die heilige Elisabeth Kranke und Alte. Auf der Wartburg-Schule unterrichten Sonderschullehrer 102 Behinderte und 102 Nichtbehinderte, damit sie einander verstehen. 62 Prozent der Sonderschüler sprechen andere Sprachen fließender als Deutsch – Arabisch, Türkisch oder Serbisch.
Einmal in der Woche haben sie sich für zwei Stunden getroffen, in kleinen Arbeitsgemeinschaften von drei bis vier Schülern. Dort mussten sie erklären und fragen, und sie haben gelernt, wie sich Farben mischen und warum es gruseliger ist, wenn die Sterne nur matt schimmern.
Derartige Projekte kosten Geld. Bisher kam dafür kam der Bezirk Tiergarten auf, doch der ist arm, in diesem Jahr noch ärmer. Doch die Kulturamtsleiterin Marlise Hoff will das Projekt weiterführen. Weil Kunst Chancen gleicher macht. Weil Kunst Selbstvertrauen stärkt und Blicke schärft. Das ist wichtig in einem Bezirk wie Tiergarten, in dem Chancen selten gleich sind und scharfe Blicke manchmal traurig machen.Die Ausstellung ist im Kulturamt in der Turmstraße in Tiergarten bis zum 5. März zu sehen.
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