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Ein Stückchen Lebensfilmklebeband

Wenig sehen, viel entdecken: Elfi Mikesch porträtiert mit „Die Markus Family“ im Panorama einen Mann, der als Kind an grauem Star erkrankte und nun Deleuze-Roboter baut

Elfi Mikesch ist berühmt für ihre immer so leicht expressionistische Kamera, die die meisten Filme von Rosa von Praunheim prägte und auch Monika Treuts legendäre „Jungfrauenmaschine“ zu einem der wichtigsten deutschen 80er-Jahre-Filme werden ließ. Am expressionistischsten war die 59-jährige Kamerafrau und Regisseurin (unglaublich eigentlich, dass sie schon 59 ist) mit der angenehmen Ausstrahlung vielleicht in Praunheims „Horror Vacui“, in dem die Nachtigall von Ramersdorf seine einzige große Hauptrolle spielte und als Gatte der Sektenführerin Lotti Huber den „optimalen Optimismus“ lehrte.

Vor vier Jahren war Elfie Mikesch mit „Verrückt bleiben – verliebt bleiben“ im Panorama-Programm vertreten; einem wunderbaren Dokumentarfilm über Torsten Ricardo Engelholz, einen „verrückten“ jungen Mann, der die U-Bahnen liebte und fantasievoller schien als die meisten „Normalen“. „Die Markus Family“ ist thematisch ähnlich: Wieder geht es um einen „behinderten“ Helden, dessen Einschränkung eher zu einer Stärkung in anderen Bereichen geführt zu haben scheint.

Markus Anatole Weisse erkrankte als Säugling am grauen Star. Der 44-jährige Held lebt mit seinen Eltern in Südfrankreich auf dem Land. Er spricht mit einer etwas hellen Stimme, die behinderte Menschen oft haben. Er wirkt viel jünger, als er aussieht. Gern hätte er eine männlichere Stimme. Was er sagt, ist oft reine, sehr genaue Poesie. Seine Sprachbilder lassen auf eine synästhetische Weltwahrnehmung schließen. Ein bisschen kann er sehen.

Farben ordnet er wie Rimbaud bestimmten Personen oder Gefühlen oder Geräuschen zu. Im Hellen muss er eine Sonnenbrille tragen, denn seine Iris schließt sich nicht. Gern würde er in der Stadt leben; auf dem Land vermisst er Freunde. Markus Anatole Weisse ist Künstler – er stellt sehr seltsame Roboterskulpturen her, die so viel Krach machen, als kämen sie direkt aus dem Kopf des französischen Philosophen Gilles Deleuze. Gegen Erotik hat er eine „psychische Allergie“. Er fasst die Hand seines 88-jährigen Vaters und beide sprechen über den Tod – der schöne alte Mann in den Sprachbildern, die wir verwenden – Markus benutzt andere: Wenn wir bewusstlos waren, kleben wir nach dem Aufwachen unseren Lebensfilm wieder aneinander, doch an was kleben wir unser Lebensfilmklebeband, wenn wir unendlich lang nicht mehr da sein werden?

Auf eine sehr dezente Art versucht sich Elfie Mikesch manchmal mit ihrer Kamera an die Wahrnehmung ihres sanften Helden anzuschmiegen. Eine Zuschauerin sagte später, sie hätte den Film mit geschlossenen Augen gesehen, um der Wahrnehmung des Helden nahe zu sein. Viele teure Wettbewerbsfilme vergisst man schon, während man das Kino verlässt; Elfi Mikeschs Film über Markus Anatol Weisse dagegen wird einem noch lange in Gedanken begleiten. Detlef Kuhlbrodt„Die Markus Family“. Regie: Elfi Mikesch. Heute, 20.15 Uhr, Cinemaxx 8

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