: Alles weiß, selbst die Grüns
Putten auf dem Fjord, Golf on the rocks: Bei der ersten Eisgolf-Weltmeisterschaft in Grönland waren nicht nur die Temperaturen ganz anders ■ Von Bernd Müllender
orweg muss man etwas über Golfers traditionell zwiespältiges Verhältnis zu Wasser wissen: Brausende Meeresbrandung als Kulisse seiner Spielwiesen liebt er sehr. Auf dem Platz aber verhöhnt er lieblichste Seen und schönste Bachläufe ruppig als „Wasserhindernisse“, weil seine Bälle immer darin zu versinken pflegen. Pfützen nennt der Golfer „zeitweiliges Wasser“. Zur Winterszeit, wenn Wasser zu zeitweiligem Eis wird, lässt der Golfer seine Schläger gemeinhin ruhen. Es sei denn, es geht nach Uummannaq ins arktische Packeis. Dort wurde das Meer erstmals zum Fairway: bei der 1. Eisgolf-Weltmeisterschaft im März letzten Jahres, mitten im eisberggespickten Uummannaq Fjord im Westen Grönlands, 600 Kilometer nördlich des Polarkreises. Teilnehmer aus acht Ländern hatten sich für die WM qualifiziert – als aktive Golfer (mindestens Handicap 36) und durch Buchung der achttägigen Reise (mindestens 4.800 Mark). Im Gepäck hatten sie nicht nur stapelweise Polarpullover, Wattejacken und Thermo-Allerlei von batteriebeheizten Socken bis zu wärmelnden ear bags, sondern auch die Angst vor Frostbeulen, vor Schneeblindheit und Eisfüßen. Und die bange Frage: Wie soll Golf auf Eis überhaupt funktionieren? Ausprobieren!
Zwanzig verrückte Südländer aus New York, Kopenhagen, London, Edinburgh und Den Haag staksten los unter doppelten Fleecemützschichten und wuchtigen Sonnenbrillen, dick verschalt, die Lippen in vielfache Fettschichten eingelegt, Nasenspitzen und Wangenknochen mit Faktor 30 verkleistert, und am Leib bis zu drei Paar Handschuhe, vier Paar Socken, fünf Paar Hosen. Daraus wurden torkelnde Michelin-Männchen, die anfangs Mühe hatten, ihre gebogenen Stöcke wenigstens bis Hüfthöhe zu schwingen. Einer berichtete, er habe zu Hause Eisgolf simuliert: Habe bei normalem Wetter Jacke über Jacke angezogen, viele Hosen und Handschuhe und sei losgestapft. Als die Clubkollegen lachten, habe er den albernen Test abgebrochen.
Auf ging’s: Beispiel an Bahn 7. Ein Par 3. Nicht eben lang mit 138 Metern, aber tückisch glatt am Abschlag und spektakulär: Links ein steiles Ensemble von riesigen kantigen Eisschollenstücken. Reichlich Pulverschneeverwehungen vor und hinterm Grün, das hier Weiß heißt, weil es weiß ist. Und rechts ragt, parallel zur Spielbahn, senkrecht und blau schimmernd, ein wahrhaft majestätischer Koloss von Eisberg auf: deutlich länger und breiter noch als das putzige Schiffchen von einst, das sie „Titanic“ nannten. Welch ein Monster! Und dabei versteckt sich die siebenfache Menge noch unter der Packeiskante.
Eisen 5? Doch das kleine Holz? Holiday on ice, golf on the rocks: – 28 war vorhergesagt, nicht als Spielergebnis, sondern als Temperatur in Celsius. Es blieb aber deutlich milder: Nur 22 Grad minus im Eisbergschatten; und in der Sonne wurde es manchmal richtig wärmelnd dank Windstille und dieser extrem trockenen Kälte. Morgens guckten alle immer zuerst aufs Thermometer, mit gemischten Gefühlen: Je kälter, desto schwerer wird es, aber desto schauerlicher können die Berichte zu Hause sein. Das Gemüt glühte ohnehin: Was für eine unvergleichliche Schönheit! Welch grelles, klares Licht! Und ein Weiß ringsum, das sich kein Werbefuzzi dieser Welt für eine profane Waschmittelreklame zu benutzen trauen würde.
Platz-Architekt Carsten Thomsen, 52, ein Däne vom Golfclub Odense, hatte eine Bucht von 100 mal 100 Kilometer zur Verfügung – da hätte man locker alle europäischen Golfplätze drauf verteilen können. Die neun Löcher bohrten heimische Eisfischer – so wie sie es für ihr unnachahmliches Fjord-Angeln machen. Ein Einsatz wurde hineingesteckt, das Eiswasser floss von unten nach, und in einer Stunde war alles festgefroren. Der wichtigste Platz-Architekt war ohnehin das Meer. Die ebenen Spielbahnen waren stets gesäumt von nordmeereigenem Rough: Wüsten aus siku, also Eis, sehr unterschiedlich geformt – hier ein Meer von Eisbrocken und Eiskämmen aller denkbaren Größen und Formen; dort fußballplatzgroße Flächen von Eisraspel und -staub, als habe jemand einen mittleren Eisberg in einen Mörser gesteckt. Das Course-Design ist das Endergebnis der letzten Wasserbewegungen im Dezember, kurz vor dem endgültigen Zufrieren, als sich angeschwemmter Gletscherbruch nach Wochen der Platzsuche aufgeschichtet und verkantet hatte zum fast halbjährigen Winterschlaf.
Und alle hatten so ihre Probleme als Seegolfer: Robert aus London, der auf Bahn 9 zwar den plötzlich querenden Hundeschlitten souverän überspielte, den Ball dabei aber unwiederauffindbar in ein eisiges Beet aus kleinwagengroßen Schollenstücken beförderte. Oder Steve aus New York, der seinen Ball einmal kunstvoll auf einem gut 20 Meter hohen Eisberg platzierte und erwartungsfroh zum schönsten Schlag des Turniers hochkletterte – nur fand er den Ball nie wieder. Oder William C. Starrett II, der kauzige, kugelrunde Kalifornier, der bei jedem Schritt wie eine Lok dampfte, dass sein weißer Bart immer eisiger und dichter wurde und aus seiner Wollmütze bald kleine Zapfen wie arktische Stalakmiten herauswuchsen. Starrett war vollauf begeistert: „Ich hab in 40 Staaten gespielt, auf allen Kontinenten, bin in Sun City in Südafrika den Nilpferden entkommen und hab dort allein ein paar Warzenschweine verjagt. Ich hab mich von den Giftschlangen auf australischen Plätzen nicht erwischen lassen. I even played Moskau and survived! Aber so was wie hier... unbelievable...“
Pflopfff. Gleich neben dem weißen Grün staubt ein Ball bei der Landung kurz auf. Ja, der puderfeine Pulverschnee Grönlands kann stauben. Wieder suchen alle minutenlang. Endlich, da steckt er, aber wie! Tief eingegraben und von ein paar fiesen Eiskanten eingekeilt. Ein mühevoller Chip und die Kugel fliegt, von den Aaaahs der Eskimos begleitet, in wunderbarer Kurve wie gewollt, springt mit federleichter Eleganz aufs Grün – und tippst, mit vielen Oooohs bedacht, wie ein Flummi ins Eis-Rough auf der anderen Seite. Pech: falsche Landestelle erwischt.
Sonntag, zum Finaltag, waren plötzlich hunderte Einheimische gekommen, Väter mit Babys im Kinderwagen, Jugendliche auf Skiern, andere auf Schlitten. Wann haben Hobbygolfer überhaupt mal Zuschauer! Und dann so viele! Sicher, quäkende Kinder halfen der Konzentration nur mäßig, und manche mussten jedesmal neu aus der Schusslinie geholt werden. Aber alle lernten von Loch zu Loch, und keines der Inuit-Kids grabschte je respektlos nach dem Allerheiligsten, dem Ball. Auch die spielbegleitenden Diskussionen der erwachsenen Uummannaquaner wurden immer leiser. Und wenn mal wieder ein fulminant langer Put ins Loch schlitterte, brach immer momentweiser Jubel aus und Bravo-Rufe der halben Hundertschaft Inuit ringsum. Dazu dieser wärmende Applaus aus brumpelndem Fäustelgeklapper. Tolles Publikum!
Die Golfer strahlten mit der Sonne um die Wette. Zur Siegesfeier von Peter Masters aus London (Gesamtergebnis: 2 unter Par) hatten sie Tische und Stühle aus Eisblöcken aufgebaut, selbst den Sponsor-Likör Drambuie gab es nicht wie sonst „on ice“ sondern „in ice“: In Gläsern aus zehntausende Jahre altem Eisbergeis. Hätte sich jeder gern als Souvenir mit nach Hause genommen. Was klimabedingt allerdings Probleme gemacht hätte. Klimabedingt ist auch der Platzrekord von 66 Schlägen einer für die Ewigkeit. Denn längst gibt es den Platz nicht mehr. Alles siku und das meiste aput, der Schnee halt, wurde zu imeq, zu Wasser. Seit Mai 1999 ist der Platz weggeschmolzen, stückweise ist er ins Nordmeer hinausgetrieben, Richtung Süden.Ob sich der Koloss von Bahn 7 gern eine neue „Titanic“ gesucht hätte? In diesem Winter haben Wetter, Meer und die örtliche Eisbergindustrie wieder einen neuen Platz designt. Die Gletscher, vor allem nebenan im Illulisat Fjell, kalben ständig und haben den ganzen Sommer über fleißig neue seitliche Wasserhindernisse losgeschickt. Für die Menschen bleibt am Platz nur die Feinarbeit. Vielleicht schafft Seehelfer Carsten Thomsen in diesem Jahr 18 Loch. „Auf jeden Fall wollen wir den Platz länger vorher herrichten“, sagte er. Damit Uummannaqs Jugend hier übend in einer Golfschule den Winter verbringen kann und – „das wäre mein größter Wunsch“, so Thomsen – bei der 2. Eisgolf-WM Ende März 2000 auch ein paar Einheimische an den Start gehen können.
Bernd Müllender (43), taz-Sportredakteur, wurde mit Handicap 28 immerhin 14. von 20 Teilnehmern und freut sich nun, dass er damit die deutsche Eisgolf-Rangliste anführt (weil einziger deutscher Teilnehmer). Andreas Teichmann (29), Fotograf aus Essen, spielt nur Minigolf.
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