: Strom von der Platte
■ Schraubenfabrik Würth produziert ab Sommer bei Stuttgart Dünnschicht-Solarzellen. Die Kapazität soll von anfangs 1,2 Megawatt schon bald auf insgesamt 10 Megawatt steigen
Bernhard Dimmler hat einen Traum: „Ich möchte im Baumarkt eine Dose Solarlack kaufen und an der damit gestrichenen Wand sofort Strom abzapfen.“ Theoretisch ist ein solcher Solarstrom aus der Dose denkbar – bislang freilich noch Utopie. Doch Ingenieur Dimmler, Entwicklungschef am Stuttgarter Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW), sieht die Verwirklichung seines Traumes langsam näher kommen: Solarzellen, die schlicht auf eine Glasplatte aufgedampft werden, haben das Experimentalstadium bereits überschritten. In diesem Sommer soll in Marbach bei Stuttgart die Serienfertigung beginnen.
Produzent wird die Firma Würth Solar GmbH & Co. KG des Künzelsauer Schraubenfabrikanten Reinhold Würth. Sie wird, erstmalig in Deutschland, so genannte CIS-Zellen in Serie herstellen (CIS steht für die elementaren Bestandteile des Halbleiters Kupfer-Indium-Diselenid). Neben dem schwäbischen „Schraubenkönig“, dessen Firma 79,5 Prozent der Firmenanteile hält, sind die Energie Baden-Württemberg (EnBW) mit 20 Prozent, und das als gemeinnützige Stiftung betriebene Stuttgarter ZSW mit einem halben Prozent beteiligt.
Nicht aus Öko-Schwärmerei steige er in diese Branche ein, betont Firmenchef Würth, sondern „aus handfesten kaufmännischen Gründen“. Mit einer jährlichen Kapazität von 1,2 Megawatt werde er im Marbacher Pilotwerk starten und anschließend die Produktion „so rasch wie möglich auf zehn Megawatt hochfahren“ – das ist genausoviel, wie im Jahr 1998 bundesweit an Photovoltaik installiert wurde. In wenigen Jahren, so hofft Würth, werde er jährlich Zellen mit einer Leistung von 50 Megawatt fertigen.
Den entscheidenden Marktvorteil erhofft sich das Unternehmen durch den attraktiven Preis. Die Produktionskosten der so genannten Dünnschichtzelle ließen sich bei der angepeilten Jahresfertigung von 50 Megawatt auf 1,50 Mark je Watt senken, schätzt ZSW-Ingenieur Dimmler. Bei einer Jahresproduktion von mehr als 200 Megawatt komme man gar unter eine Mark je Watt, weil die Fertigung der Dünnschichtmodule sich sehr weit automatisieren lasse. Heute liegen die Kosten einer klassischen Siliziumzelle noch bei sechs bis zehn Mark je Watt.
Die CIS-Technik wurde im Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung entwickelt, womit dieses sich an die Spitze der weltweiten Dünnschicht-Forschung gesetzt hat. In hochreinem Vakuum werden bei 500 Grad Celsius die Elemente Kupfer, Indium und Selen (sowie zunehmend auch Gallium) verdampft, damit diese sich auf einer Trägerplatte aus schlichtem Fensterglas niederschlagen. Die beschichtete Platte wird dann mittels eines Lasers strukturiert – die Ausgangsspannung der Zelle kann auf diese Weise individuell festgelegt werden. Eine zweite Glasplatte schützt schließlich die nur zwei Mikrometer dicke photoelektrische Schicht vor Umwelteinflüssen.
Im Vergleich zu den heute verbreiteten kristallinen Siliziumzellen benötigen die Dünnschichtzellen nur noch ein Bruchteil an Material, und auch der Energiebedarf bei der Produktion ist geringer. Das ZSW schätzt die energetische Amortisationszeit der Dünnschicht-Solarmodule auf maximal ein halbes Jahr – nach spätestens sechs Monaten wird die Zelle also schon so viel Energie erzeugt haben, wie bei ihrer Produktion verbraucht wurde. Von einer „elementar wichtigen Zukunftstechnologie“ spricht man daher bei Würth Solar.
Unter ökologischen Gesichtspunkten gilt die CIS-Zelle als unproblematisch. „Die Verbindung ist sehr stabil“, sagt Hans-Werner Schock vom Institut für Physikalische Elektronik der Universität Stuttgart. Somit sei sie selbst auf einer Mülldeponie unschädlich. Einzig und allein im Falle eines Brandes könnte ein Teil der Stoffe frei werden. Allerdings liege beim Brand eines Hauses die Giftkonzentration auf Grund anderer Geräte um einiges höher: „Jeder Fernseher enthält weitaus mehr gefährliche Substanzen als die Solarzellen.“
Somit steht dem Massenmarkt der Solarzellen zumindest technisch nichts mehr im Wege. In zehn Jahren werde der weltweite Jahresbedarf bei 1.500 bis 2.000 Megawatt Photovoltaik liegen, schätzt Firmenchef Würth. Jährliche Wachstumsraten von 22 Prozent seien realistisch. Um an diesem Markt zu partizipieren, hat Würth Solar in Marbach am Neckar nun 22 Millionen Mark investiert. Mehr als 100 Gemeinden hatten sich um das imageträchtige Projekt bemüht, darunter auch Heilbronn, Neckarsulm, Mosbach, Schwäbisch Hall und natürlich Stuttgart, das lange Zeit wegen der Nähe zum ZSW als Favorit angesehen wurde.
Überraschend machte dann Marbach das Rennen, als die EnBW ein Gelände in die Gesellschaft einbrachte, dessen gute Infrastruktur die Solarunternehmer überzeugte; es ist der ehemalige Standort eines Kohlekraftwerks der Energieversorgung Schwaben (die inzwischen mit dem Badenwerk zur EnBW fusioniert ist). In den 800 Quadratmeter großen Hallen werden künftig 20 Mitarbeiter im Dreischichtbetrieb pro Jahr 10.000 Quadratmeter der High-Tech-Module herstellen.
Die EnBW als Minderheitseignerin von Würth Solar fährt damit eine klassische Doppelstrategie. Während der Energieversorger ins eigene Netz nur gezwungenermaßen Solarstrom aufnimmt und eine angemessene Vergütung für sauberen Strom beständig ablehnt, steigt er zugleich in die Zellenproduktion ein. „Das ist eine zukunftsträchtige Technologie“, sagt EnBW-Sprecher Stephan Wunnerlich. Sie biete „gute Marktchancen“. Eingesetzt werden sollen die Solarzellen aber – so muss man diese Strategie interpretieren – bitte schön nur im Ausland.
Bernward Janzing
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