: Krebs hinterm Brustimplantat unerkannt
■ Hat die Sorglosigkeit von Ärzten im Umgang mit Silikon eine Frau das Leben gekostet? Anwältin des Witwers spricht von „Präzedenzfall“ / Bremer Kliniken müssen mit Klage rechnen
Der Witwer Hans Joachim Leue will die Ärzteschaft aufrütteln. Seine Frau, das bestätigen jetzt auch Experten, starb 54-jährig an einem Brusttumor, der hinter einem Silikonimplantat nicht entdeckt worden war – ein Fall, der bisher als unwahrscheinlich galt. Eineinhalb Jahre dauerte das qualvolle Sterben von Margret Leue. „Sowas soll niemand mehr erleben müssen“, sagt der Pensionär, der überzeugt ist, dass die Beschwerden seiner Frau nicht ernst genug genommen wurden. Er bereitet einen Schadensersatzprozess vor. Auch die AOK erwägt, sich die Kosten für einen möglichen Diagnosefehler von den betroffenen Bremer Kliniken zurückzuholen.
Margret Leue starb vor zwei Jahren. Zuvor war sie wegen einer Krebswucherung an der Wirbelsäule in der St. Jürgen Klinik behandelt worden. Nur. Das muss aus heutiger Sicht festgestellt werden. Denn erst nachdem der Ehemann der Verstorbenen selbst eine Obduktion bezahlte, bestätigten Pathologen den Verdacht, den das Ehepaar Leue schon länger gehabt hatte: Ursprung der Beschwerden war offenbar ein Mamma-Carzinom. Den Brusttumor von beachtlicher Größe hatten die Ärzte im Gröpelinger Diako und in der auf Brustkrebs spezialisierten St. Jürgen Klinik nie bemerkt.
Der medizinische Dienst, die Experten der Krankenkassen, schrieben dazu jetzt: Durch eine frühzeitige Entfernung des Silikon-Kissens und eine folgende Chemotherapie „hätte man eventuell eine Metastasierung verhindert.“ Und: „Todesursache ist letztlich das Mamma-Carzinom.“ Es handele sich um einen an früherer Stelle wieder aufgetretenen Brustkrebs. Ein Behandlungsfehler scheint nahe zu liegen: Die Computertomografie der Brust, mit der die 1983 implantierte Frau aufgrund anhaltender Beschwerden untersucht worden war, „war negativ wegen des Implantates – hier hätte eine Magnet-Resonanztomografie (MRT) das Rezidiv hinter dem Silikon entdeckt“, so der Medizinische Dienst. Klartext: Eine andere Technik hätte den Tumor sichtbar gemacht. Möglicherweise könnte die Frau noch leben.
Die bevorstehenden Klagen dürften bundesweit Aufsehen erregen. „Es ist ein Fall, von dem alle Gynäkologen und Chirurgen sagen, er sei nicht möglich“, sagt die Oldenburger Rechtsanwältin Ilse Dautert. Sie vertritt zahlreiche Frauen, die über verschiedenste Folgeschäden von Silikonimplantaten klagen. Ein Fall wie der von Margret Leue wurde dabei noch nie bekannt. „Ich gehe aber von einer enormen Dunkelziffer aus“, sagt die Anwältin. „Wer lässt schon seine liebsten Angehörigen nachträglich sezieren?“
Betroffenengruppen von Implantatträgerinnen warnen dagegen schon länger vor den Gefahren unerkannter Tumoren unter dem Implantat. Besonders riskant sei es deshalb auch, ausgerechnet brustkrebskranke Frauen zu implantieren, so beispielsweise Ursula Schielke von der Bremer Selbsthilfegruppe Frauen und Medizin. In den letzten Jahren wiesen zwar auch Hersteller darauf hin, dass die Strahlen-Undurchlässigkeit und Dichtigkeit des Silikons von Radiologen beachtet werden müsse. Doch Ursula Schielke wertet das nicht als einen Hinweis auf die tatsächliche Problematik. Sämtliche Empfehlungen zielten vor allem darauf ab sicherzustellen, dass das Implantat noch intakt sei. Dies scheinen die Untersuchungsergebnisse der verstorbenen Margret Leue auf verhängnisvolle Weise zu bestätigen. Zwar fand niemand den Tumor – wohl aber bestätigten alle Untersuchungen, dass das Silikon-implantat heile sei. Die Anwältin des Witwers geht so weit zu sagen: „Die sichersten Untersuchungsmethoden, ein Rezidiv auszuschließen, wurden nicht angewendet.“ Offenbar nahmen die Fachleute die Frau nicht ernst. Obwohl das Implantat bereits bedenkliche 18 Jahre alt war, empfahl niemand eine Entfernung. Erst ein Jahr, nachdem bei Margret Leue gravierende Beschwerden aufgetreten waren, empfahl ein Neurologe, eine neue Brustkrebserkrankung auszuschließen. Sieben Monate später war die Patientin tot. ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen