: Akribie der Vernichtung
Was spricht die Bestie? Romuald Karmakar hat mit dem Schauspieler Manfred Zapatka eine dreistündige Rede Heinrich Himmlers vor führenden SS-Generälen in Posen verfilmt
Die filmische Darstellung der Verantwortlichen des Nationalsozialismus ist merkwürdig beliebig geblieben. Es gab Zeiten, wo fast jeder Hollywood-Akteur Hitler oder SS-Männer spielte – von Yul Brynner bis Marlon Brando. In Deutschland erledigte diese Rollen Dieter Korte, dessen stramm schnarrende Stimme wie gemacht für die Rhetorik des Dritten Reichs schien. Und wer den kalten Schreibtischtäter wollte, der bekam den jungen Götz George.
Manfred Zapatka sieht nur müde aus, die ganzen drei Stunden, in denen man mit seinem Gesicht im „Himmler-Projekt“ von Romuald Karmakar konfrontiert ist. Kaum eine Reaktion und erst recht kein Pathos von dem, was er als Text vorträgt, spiegelt sich in seiner Mimik wider. Es handelt sich um eine Rede, die Heinrich Himmler am 4. Oktober 1943 vor 92 Generälen der SS im Goldenen Saal des Schlosses von Posen gehalten hat. Die Bestie, das ist bei Karmakar nicht der Mensch, die Uniform oder der Gestus des Militärs. Nur der Text gibt ein Bild von der Barbarei des Dritten Reichs.
Einige der Sätze haben sich tief in den Diskurs um die Greueltaten der Nazis eingebrannt: Dass die SS bei der Ermordung der Juden „anständig blieb“ und „dadurch stark gemacht“ worden sei, ist der wohl erschreckendste. Seit 1947 liegt die gesamte Himmler-Rede als Anhang der Dokumente zum Nürnberger Prozess bereit. Wer nachlesen wollte, wie der damalige Innenminister und „Reichsführer SS“ über die Deportation und Ermordung der Juden und die Vernichtung der russischen Bevölkerung dachte, könnte hier nachlesen. Nur sehr wenige haben es in all den Jahren getan, meinte der Freiburger Historiker Ulrich Herbert in der Diskussion zur Premiere des Films auf der Berlinale. Dabei hält er die Auseinandersetzung mit Originaldokumenten für unverzichtbar, wenn man das NS-Herrschaftssystem verstehen will. Immerhin wurde der Vortrag auf Himmlers Wunsch per Tonband aufgezeichnet und auf Schallplatten gepresst.
Romuald Karmakar ist in seiner filmischen Rekonstruktion des Textes vorsichtig und doch unglaublich präzise vorgegangen. Mit wenigen Kameraeinstellungen und insgesamt 50 Schnitten zeichnet er Zapatkas Vortrag auf. Die behutsame Kameraführung aber hält den Zuschauer gefangen. Man sucht nach Erklärungen und findet nur einen Text, der von Himmler nahezu frei nach ein paar Notizen gesprochen wurde. Dennoch hört man die Konsequenz dessen heraus, was da zur Sprache kommt: die rassische Überlegenheit der Deutschen gegenüber allen Slawen. Das Ziel, den Osten als zukünftigen „Lebensraum“ zu entvölkern. Und die mathematische Akribie, mit der Himmler den Tod von Millionen Juden und Russen gegen deutsche Verluste aufrechnet: Dass zehntausende russischer Frauen beim Bau von Schutzwällen sterben, „das alles interessiert mich nicht“.
Was Himmler damals gesagt hat vor einem andächtig schweigenden Publikum, wird nun von Zapatka noch einmal ausgesprochen. Tatsächlich mag man an dieser Haltung, für die sich Karmakar gemeinsam mit seinem Schauspieler entschieden hat, teilweise verzweifeln: Denn das authentische Zeitzeugnis quält gerade in seiner Ausdruckslosigkeit, die nicht Interpretation liefert, sondern Material. Und man versteht, auch ohne Verständnis.
Biografisch ist Karmakars „Das Himmler-Projekt“ von einiger Konsequenz: Die Balkan-Söldner in „Warheads“, das Haarmann-Verhör im „Totmacher“, das Hörspiel mit dem O-Ton der Bombeneinschläge im kroatischen Gospić. Trotzdem kann man dem Filmemacher weder Exorzismus noch Fasziniertsein durch das Böse unterstellen. Mit drei Stunden Dauer mag „Das Himmler-Projekt“ an ein Requiem erinnern. Es ist ja auch ein Abgesang: auf die Darstellung des Nationalsozialismus, wie sie bisher im Film stattgefunden hat. Am Ende von Karmakars Version will man nie wieder Filme sehen, in denen Schauspieler den historischen Vorbildern ähneln. Dafür war der Vorgang zu einmalig. Harald Fricke
„Das Himmler-Projekt“. Regie: Romuald Karmakar. Mit Manfred Zapatka. D, 185 Min.
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