: Brokdorf liegt direkt am Brandenburger Tor
■ Bei der Anhörung im Innenausschuss zum Demonstrationsrecht erklären die vier geladenen Juristen einmütig, dass Demonstrationen nur im Einzelfall durch Auflagen eingeschränkt werden können. Nazi-Demo verboten
Eine Einschränkung des Demonstrationsrechtes ist nur in engen Grenzen möglich, indem die Versammlungsbehörde für eine Demonstration Auflagen zu Ort und Zeit erteilt. Diese recht einhellige Ansicht vertraten gestern vor dem Innenausschuss des Abgeordnetenhauses vier Juristen, die von CDU, SPD, PDS und Grünen eingeladen worden waren.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, gab Innensenator Eckart Werthebach (CDU) aber Rückendeckung für sein Vorhaben, das bestehende Versammlungsrecht durch Auflagenerteilung voll auszuschöpfen. „Seien Sie mutig. Machen Sie Ihren Job“, forderte der Bundestagsabgeordnete den Innensenator auf. „Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit heißt keineswegs, dass jeder Mensch zu jeder Zeit an jedem Ort demonstrieren kann.“
Mit seiner Ansicht, dass Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei nur bedingt auf Berlin übertragbar, steht Innensenator Eckart Werthebach (CDU) allerdings ziemlich allein da. Bei der gestrigen Anhörung ließen die vier Experten für Versammlungsrecht keinen Zweifel daran, dass der legendäre Beschluss zur Demonstrationsfreiheit nicht nur für die grüne Wiese bindend ist, sondern auch für Großstädte.
Grund für die Anhörung ist der Streit um die Versammlungsfreiheit. Wie berichtet, will der Innensenator wegen der zu starken Verkehrsbeeinträchtigung Demonstrationen in der Innenstadt einschränken. Aktueller Aufhänger war der Neonazi-Aufmarsch am 29. Januar durch das Brandenburger Tor, an dem sich die Emotionen pateiübergreifend entzündeten.
Nach Werthebachs Ankündigung, rechtsextremistische Demonstrationen am Brandenburger Tor in Zukunft konsequent zu untersagen, hat die Versammlungsbehörde gestern den für Samstag angemeldeten Gedenkmarsch für Horst Wessel verboten.
Aber Werthebach und der CDU geht es nicht nur um Neonazis. Die Beeinträchtigungen durch die zahlreichen Versammlungen in der City seien für Autofahrer und Anlieger einfach nicht mehr tragbar, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU, Roland Gewalt, mit Fingerzeig auf die 2.440 Demonstrationen, die im vergangenen Jahr in Berlin stattfanden. Er plädierte dafür, die Versammlungen auf eine verkehrsärmere Zeit oder auf die Bürgersteige zu begrenzen. Wenn die Auflagen der Polizei vor den Verwaltungsgerichten keinen Bestand hätten, müsse Berlin eine Bundesratsinitative zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes beantragen.
Der von der CDU eingeladene Rechtsexperte Professor Peter Huber aus Jena hält es für vom Versammlungsgesetz gedeckt, wenn die Polizei Demonstrationen in andere Stadtteile verlegt, falls der Bezirk Mitte „unzumutbar“ durch Versammlungen „belastet“ würde. Der SPD Bundestagsabgeordnete Wiefelspütz pflichtete dem bei: „Gewisse Beeinträchtigungen müssen hingenommen werden. Aber nicht massenhaft und jeden Tag.“ Die Exekutive müsse „klare Regeln“ entwickeln und „die Berliner Verwaltungsgerichte müssen lernen, realtitätsnah zu entscheiden“, spielte Wiefelspütz auf die Entscheidungen der hiesigen Verwaltungsgerichte bezüglich der Neonazi-Demonstration am 29. Januar an. Die Gerichte hatten den Aufzug der Rechten durch das Brandenburger Tor unter Auflagen genehmigt.
Der von den Bündnisgrünen zu der Anhörung geladene Rechtsexperte Ulli F. Rühl vertrat zwar auch die Ansicht, dass Demonstrationen zeitlich und örtlich beschränkbar seien. Allerdings nur im Einzelfall. Außer einer Bannmeile gebe es „keinerlei gesetzliche Ermächtigungen für demonstrationsfreie Zonen“. Für zulässig hält Rühl lediglich eine Beschränkung von Demonstrationen „aus verkehrstechnischen Gründen“ auf eine Seite der Fahrbahn. Eine Verlegung auf einen anderen Tag sei nur dann zulässig, wenn das Thema keinen unmittelbaren aktuellen Anlass habe.
Der von der PDS geladene Dozent an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin, Oesten Baller, meinte sogar, dass der Verkehr notfalls hinter dem Recht auf Versammlungsfreiheit zurückstehen müsse.
Plutonia Plarre
Siehe Seite 21
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