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Urinsticks und Nassspritzspielchen

■ „Emergency Room“ ist eine prima Ärzteserie – und sooo erfolgreich. So erfolgreich, dass Pro 7 ab heute gleich im Anschluss seinen Notaufnahmeklon „Klinikum Berlin Mitte“ zeigt

Es hatte schon mal jemand gewagt. Mit dem blassen Abklatsch „Alphateam – Die Lebensretter im OP“ versucht Sat.1 weiterhin (und weiterhin vergeblich), an den mit „Emmys“ und „Golden Globes“ preisgekrönten „Emergency Room“-Zug noch einen kleinen wackeligen deutschen Waggon dranzuhängen. Aber nichts da.

Keiner kann so sexy „Großes Blutbild, Urinsticks!“ rufen wie George Clooney als Kinderarzt Dr. „Harte Schale, weicher Kern“ Doug Ross, keiner kann so glaubhaft über seinen zurückgehenden Haaransatz seufzen wie Anthony Edwards als „ER“-Teamleiter Dr. Mark Greene – von den Gaststars (Shelley Winters, Rosemary Clooney ...) ganz zu schweigen.

Darum setzt Pro 7 auch erstens auf Altbewährtes und zeigt ab heute die fünfte Staffel der „erfolgreichsten Drama-Serie der Fernsehgeschichte“ (Pro 7). Zweitens hat man sich bei der neuen, deutschen „ER“-Kopie „Klinikum Berlin Mitte“ genauestens an die Vorbilder gehalten: Notaufnahmealltag im Doppelpack, zur schönsten Sendezeit (siehe Kasten).

Schon komisch, dass gerade eine Ärzteserie mit den ganzen unangenehmen Nebenwirkungen – auf OPs und Aufenthaltsräume eingeschränkte Settings und als Hauptfarbe: unvorteilhaftes Grün-Weiß – die Zuschauer seit fünf Jahren bei der Stange halten kann.

Nun stehen hinter „ER“ ja auch der US-Bestsellerautor Michael Crichton („Jurassic Park“) und Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin Television. Und zusammen haben sie Serienfolgen erschaffen, die zumindest von allen amerikanischen und auch einer Menge europäischer MedizinstudentInnen, MTAs und ÄrztInnen geguckt werden, weil sie sooo realistisch sind (die Fälle der Ärzte, nicht ihr Aussehen). Und dazu kommt noch die eine oder andere Million George-Clooney-Fans – auch wenn Herr Clooney in dieser Staffel endgültig aussteigt.

Und was hat „Klinikum Berlin Mitte“ zu bieten? Ähnlich rasant geschnitten, mit herumwirbelnder Kamera bei spannenden Situationen (das alte Muster: Fall kommt in die Notaufnahme, Rettungssanitäter brieft hektisch die diensthabenden Ärzte, Fall wird in Not-OP gerettet) scheut die zunächst 13-teilige Pro-7-Produktion das Experiment. Auch die Charaktere sind fast 1:1 von „ER“ abkopiert: Zwei männliche Hauptdarsteller (Francis Fulton-Smith als Dr. Leyendekker und Thomas B. Martin als Dr. Hauff), der eine recht griffig und unkonventionell, der andere mit Familie und Halbglatze, dazu die toughe, hübsche, allein erziehende Ärztin Dr. Jungblut (!), einen liebenswerten Stationstrottel, einen fiesen Oberarzt, eine scharfe Anästhesistin, Krankenschwestern ... Und der begabte Boris Aljanovic darf als Dr. Karim Busch den Nothubschrauber steuern und eine mysteriöse Vergangenheit haben. Dazu Gaststars („Promi-Patienten“ tauft sie das Presseheft), wie sie nur das deutsche Fernsehen bieten kann: Naddel als Kellnerin, Dolly Buster als Busenstar mit (wie geschmackvoll) Verdacht auf Brustkrebs oder Horst Buchholz als depressiver Witwer.

Aber während bei „ER“ der Schauplatz Chicago doch eher eine unbedeutende Nebenrolle spielt, setzt man fürs mittige Berliner „Klinikum“ stark auf den Hauptstadtfaktor. Schon der Vorspann zeigt die schönsten Plätze der Stadt als Videoclip, und gleich in der ersten Folge lässt sich Francis Fulton-Smith zu den Klängen von „Summer in the City“ auf dem Weg zur Arbeit von freundlichen BVG-Straßenarbeitern Wet-T-Shirt-Contest-mäßig nassspritzen: Es ist so heiß in Berlin, wie es sich nur Drehbuchautoren ausdenken können. In einer der nächsten Folgen soll auch der typische Berliner Techno-DJ „DJ Sky“ behandelt werden – selbstverständlich wegen Drogengebrauchs.

Und außer, dass niemand in der Serie berlinert und auch noch niemand aus der türkischen Community in der Darstellerriege aufgetaucht ist, könnte man sich das Klinikum Berlin Mitte wirklich gut als schöne Utopie eines funktionierenden Krankenhauses mit nettem, hübschem, engagiertem Personal und aufregenden Kranken vorstellen, mitten in Mitte. Wer möchte sich da nicht gerne mal am offenen Herzen operieren lassen?

Jenni Zylka

„ER“, 20.15 Uhr, Pro 7 „KBM“, 21.15 Uhr, Pro 7

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