: Wenn der Staat nicht eingreift, geht es nicht
In der EU wird der Islamunterricht längst praktiziert – mit zwiespältigen Ergebnissen
Ein Unterrichtsangebot für die mehr als 30.000 muslimischen Schüler Berlins ist dringend notwendig. „Der Religionsunterricht wird zum zentralen Punkt einer modernen Integrationspolitik“, ist Angelika Knubbertz, pädagogische Referentin des Berliner Senators für Schule, Jugend und Sport, überzeugt. Gestritten wird indes darüber, ob der Unterricht bekenntnisorientiert, interreligiös oder religionskundlich sein sollte.
Muslimische Gruppen wie die Islamische Föderation lehnen jede Form von nicht konfessionsgebundenem Religionsunterricht als nicht verfassungskonform ab. Tatsächlich heißt es im Grundgesetz: „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“
Während in Deutschland die Frage, welche Organisation die Muslime repräsentiert, seit über vierzig Jahren diskutiert wird, ist man andernorts weiter. In Österreich wurde der Islam bereits in den Siebzigerjahren als Glaubensgemeinschaft anerkannt. Und seit 1982 gibt es islamischen Religionsunterricht mit normativ bekennendem Charakter. Die Erfahrungen seien sehr zwiespältig, gab die in Erfurt lehrende Religionswissenschaftlerin Irka Mohr kürzlich auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zu bedenken. In der Alpenrepublik fördert die Politik die Bildung einer einheitlichen österreichischen Umma (Gemeinschaft der Gläubigen). Erreicht wird dieses Ziel über einen Islamunterricht der orthodox-sunnitisch ausgerichtet ist. Der Vorteil: Die ethnische Gruppenbildung der muslimischen Minderheiten, die am Unterricht teilnehmen, wird verhindert. Der Nachteil: Diese erzwungene Einheit der Muslime geht auf Kosten der religiösen Vielfalt, das heißt, die schiitischen und alevitischen Minderheiten bleiben unberücksichtigt.
Auch in Belgien ist der Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt, und seit Anfang der Achtzigerjahre wird bekennender islamischer Religionsunterricht erteilt. Zunächst in türkischer oder arabischer Sprache und mit Lehrinhalten aus den jeweiligen Heimatländern. Sowohl die Unterrichtssprache als auch die nationalistischen Lehrinhalte führten zur ethnischen Gruppenbildung der Schüler. Mitte der Achtzigerjahre intervenierte der Staat: Von nun an musste der Unterricht in einer der beiden belgischen Landessprachen erteilt werden.
Die Modelle in Großbritannien und den Niederlanden sind im Gegensatz zu den österreichischen und belgischen Erfahrungen nur bedingt auf Deutschland übertragbar. Weder in Großbritannien noch in den Niederlanden ist in der Verfassung eine Anerkennung von Religionsgemeinschaften vorgesehen. Deshalb liegt in beiden Ländern die Betonung nicht auf dem Religiösen. Im Mittelpunkt der Diskussionen und des Unterrichts steht deshalb die Interkulturalität. So gibt es in Großbritannien das Pflichtfach „religious education“, in dem über die im Land lebenden Religionen informiert wird. Anders als in Belgien und Österreich gibt es in den Niederlanden und in Großbritannien eine wachsende Zahl privater islamischer Grundschulen. Dies sei eine Reaktion auf den religionskundlichen Unterricht, der von vielen muslimischen Eltern als mangelhaft erlebt werde, so Irka Mohr. Eberhard Seidel
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