: Der Abgang der Ostdeutschen aus der Politik
Seit der letzten Wahl sind ostdeutsche Politiker unterrepräsentiert. Von 28 Bürgermeistern, Senatoren und Staatssekretären kommen 27 aus dem Westen. Die Westparteien verschieben die innere Einheit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag – zur Freude der PDS ■ Von Ralph Bollmann
Die arme Frau! Nicht nur für marode Krankenhäuser, fehlende Arbeitsplätze und notleidende Sozialprojekte ist Gabriele Schöttler (46) zuständig. Nein, auch die Sorgen und Nöte der 1,3 Millionen Ostberliner muss die zierliche gelernte Krankenschwester am Senatstisch repräsentieren. Denn die Senatorin für Arbeit, Soziales und Frauen stammt als Einzige der 28 Bürgermeister, Senatoren und Staatssekretäre aus dem Ostteil der Stadt.
Wie ein kurzes Wetterleuchten waren nach dem Fall der Mauer ein paar Politiker aus dem Ostteil der Stadt auf der politischen Bühne der gebeutelten Metropole erschienen – geräuschlos und ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. Jetzt, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, wird Politik wieder so gemacht wie in Westberlin vor dem Fall der Mauer.
Im ersten Gesamtberliner Kabinett stammten noch drei von neun Senatoren aus dem Osten – das sind 33 Prozent. 1996 waren es von zehn Ressortchefs nur noch zwei – 20 Prozent. In der neuen, siebenköpfigen Landesregierung blieb nur noch Frau Schöttler übrig – 14 Prozent. Einen Staatssekretär aus den östlichen Bezirken hat es überhaupt noch nicht gegeben. „Die derzeitige Regierung repräsentiert personell nicht die Einigung der Stadt“, sagt der Sozialdemokrat Helmut Fechner aus dem Ostbezirk Treptow.
Im Landesparlament entspricht der Anteil der Ostabgeordneten ungefähr dem Bevölkerungsanteil – doch die meisten von ihnen sind Hinterbänkler. Selbst bei der PDS kommt einer der beiden Fraktionsvorsitzenden aus dem Westen. Alle anderen Fraktionen werden ohnehin ganz selbstverständlich von Westlern geführt.
Die Geschäftsführer der beiden Koalitionsparteien vertrösten ihre östlichen Parteifreunde auf die Zukunft. Ein Staatssekretär aus dem Osten, das habe sich eben „diesmal nicht ergeben“, sagt Ralf Wieland von der SPD. Er ist sich aber sicher, dass in den nächsten Jahren „ein paar Leute nachwachsen“. CDU-Kollege Matthias Wambach rühmt die Bezirkspolitiker seiner Partei, die sich gewiss „auf mittlere Frist durchsetzen“. Im Übrigen gelte: „Die Frage der Herkunft hat an Bedeutung verloren.“
Diesen Satz trägt inzwischen fast jeder Christ- oder Sozialdemokrat auf den Lippen. Der Parteienforscher Richard Stöss an der Freien Universität Berlin hält das allerdings für ein „vorgeschobenes Argument“. Seit der Verkleinerung des Berliner Senats von zehn auf sieben Ressorts gebe es „weniger zu verteilen“, und nach den wenigen Posten stünden schon die Westler Schlange. Hätte man mehr Ostler berücksichtigt, „wäre das Gleichgewicht im Westen kaputtgegangen“, glaubt Stöss.
Daran werde sich nichts ändern, solange die Politiker aus dem Osten „sich nicht wehren und sich nicht auf gemeinsame Personalvorschläge verständigen“, glaubt der Ostberliner Ex-Jugendsenator Thomas Krüger, der nach einem Babyjahr das politische Comeback nicht schaffte.
Von solche einer Verständigung aber sind die Ostler in allen Parteien noch weit entfernt. Die meisten von ihnen sagen zum Thema Ostquote am liebsten überhaupt nichts: Wenn sie die Hoffnung auf Karriere noch nicht aufgegeben haben, wollen sie nicht auf dem vermeintlich rufschädigenden Ostticket reisen; wenn sie frustriert aus dem Politikbetrieb ausgeschieden sind, möchten sie den Anschein der Larmoyanz vermeiden.
Parteienforscher Stöss glaubt, die meisten Ostpolitiker hätten „wenig Gespür für Machtfragen“. Sie spielen den Ost-West-Konflikt herunter – und tragen auf diese Weise zu ihrer eigenen Machtlosigkeit bei. Viele von ihnen hängen dem idealistischen Glauben an, auch westdeutsche Politiker könnten Ostinteressen vertreten.
Das allerdings hält der Potsdamer Politologe Wilhelm Bürklin, Autor eines Standardwerks über „Eliten in Deutschland“, für einen Irrtum: „Politik hat etwas mit Repräsentation zu tun. Daraus leitet sich ihre Glaubwürdigkeits ab.“ Stellen sich die Führungsspitzen der Parteien darauf nicht ein, glaubt Bürklin, „dann wird der Wähler das besorgen“ – indem er die PDS wählt, die vor allem ihres Personals wegen als Sachwalterin ostdeutscher Interessen angesehen wird.
Den anderen Parteien rät der Politologe Bürklin, einzelne Personen aus dem Osten „prominent herauszustellen“ – mit Vorbildfunktion für Parteieintritte und mehr Engagement an der Basis. Nur so könnten die Ostverbände wachsen und Gewicht auf den Parteitagen gewinnen.
Ganz einfach freilich wird auch das nicht sein. Das Engagement in Parteien ist aus der Mode gekommen – in allen Teilen des Landes. Auch wenn es im Westen noch nicht so auffällt, weil es einen vergleichsweise großen Fundus an älterem Personal gibt. Und so glaubt Parteienforscher Richard Stöss: „Auch hier ist der Osten ein Vorreiter.“
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