: Tyco räumt bei Siemens auf
Neuer Besitzer eines ehemaligen Konzernbereichs will möglichst schnell Leute entlassen. Deutsche Sozialgesetze bremsen den EC-Käufer etwas ■ Aus Berlin Christian Krämer
„Jeder Mitarbeiter bei uns hat Angst um seinen Arbeitsplatz“, berichtet ein Angestellter des ehemaligen Siemens-Bereiches EC (Electronical Components). Der Hersteller elektronischer Kleinbauteile wurde im September 1999 für über zwei Milliarden Mark an den amerikanischen Mischkonzern Tyco verkauft. Seit November führen die Amerikaner die Geschäfte. „Wir wissen nicht, was aus unserem Standort werden soll“, klagt ein anderer Arbeiter, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte. Das Vertrauen in das neue Tyco-Management scheint bereits nach wenigen Wochen verspielt, denn die Umstrukturierungspläne der Amerikaner machen vor den einstigen Vorzeigebetrieben nicht Halt. Die Siemensianer erfahren am eigenen Leib, was „Umstrukturierung“ in einem Traditionskonzern bedeuten kann.
Momentan verhandeln Betriebsrat und Tyco-Management über ein Standortkonzept für die elektromechanischen Werke in Berlin und Speyer. Nachdem der weltweit operierende EC-Bereich lange weltmarktführend war, hat sich die Lage in den letzten Jahren besonders in den deutschen Werken dramatisch verschlechtert. Verluste in zweistelliger Millionenhöhe wurden hier angeblich 1999 eingefahren. Siemens habe den Bereich nicht ohne Grund verkauft, sagt Klaus Hoppe aus dem Betriebsrat von Tyco. Die lukrativeren Elektronikbereiche – Epcos und Infineon – werden stattdessen mit großen Gewinnen für den Mutterkonzern an die Börse gebracht.
Siemens sehe den EC-Verkauf als Teil einer notwendigen Fokussierungsstrategie, um den hohen Kapitalbedarf auch künftig aufrechtzuerhalten, erklärt Siemens-Sprecher Enzio Kühlmann-Stumm. „Wir bedauern die Probleme bei Tyco“, fügt er hinzu.
Der amerikanische Tyco-Konzern ist der weltgrößte Hersteller und Installateur von elektronischen Komponenten, Unterwasser-Telekommunikationssystemen und Feuerschutzsystemen. Das Konglomerat ist in mehr als 80 Ländern tätig und erwirtschaftete 1999 einen Umsatz von rund 22 Milliarden Dollar. Anlässlich des Kaufes von Siemens EC sprach Tyco-Chef Dennis Kozlowski vor einem halben Jahr von sehr guten Möglichkeiten, die Stärken der beiden Firmen zu vereinen. Seines Erachtens würden die Siemens-Relais ideal die Steckverbindungen von Tyco ergänzen. Seine Einschätzung hat sich als falsch erwiesen. „Die deutschen Standorte arbeiten sehr verlustträchtig“, lässt sich Klaus Walter, stellvertretender Deutschland-Chef, entlocken, „deswegen müssen Konsequenzen gezogen werden.“ Wie diese aussehen werden, lässt er offen.
Betriebsrat Hoppe sieht Tycos Strategie in der Konzentration von Fertigungen und Standortverlagerungen in Niedriglohnländer. Schließlich bestehen auch Werke in Mexiko, Singapur und China. Im Werk in Speyer werden Hoppes Einschätzung zufolge von 800 Arbeitsplätzen nur 480 überleben. Das Berliner Relaiswerk haben bereits rund 100 Angestellte verlassen. Weitere folgen. Zudem wurde die Münchener EC-Zentrale vollständig aufgelöst.
Die nach dem Kauf vorschnell verkündeten Entlassungen musste Tyco allerdings nach massiven Protesten der Belegschaft und der Betriebsräte wieder zurücknehmen. Stattdessen möchte man nunmehr Mitarbeiter mit großzügigen Abfindungen loswerden. Davon machen vor allen ältere Mitarbeiter und solche, die sich beruflich verändern wollen, Gebrauch. Die dabei anfallenden Restrukturierungskosten durch die hohen Abfindungen kann der US-Konzern nach dem amerikanischen Steuersystem über einen sehr langen Zeitraum abschreiben.
Beim Berliner Siemens-Betriebsrat sieht man das Konzernimage in Gefahr. Der Verkauf an Tyco erschwere künftige Ausgliederungen bei Siemens, erklärt Georg Nassauer. „Ausgliederungen können jetzt kaum noch ohne Ängste der Arbeitnehmer vollzogen werden.“ Die Belange der Arbeitnehmer wurden bei den Verkaufsverhandlungen nicht einmal berücksichtigt, ergänzt Hoppe.
Darüber hinaus verlangt die IG Metall von Siemens, die ausscheidenden Arbeiter wieder in anderen Siemens-Bereichen einzusetzen. Außerdem müssen sich die Betriebsräte mit ihren Vorstellungen eines fairen Sozialplanes durchsetzen. „Die Schmerzensgelder müssen Tyco richtig wehtun“, fordert Wolfgang Müller von der IG Metall. Die Verhandlungen zwischen Tyco und den Betriebsräten laufen noch bis Ende des Monats. Dann möchte Tyco ihre konkreten Pläne für die deutschen Standorte vorstellen. Bis dahin herrschen weiter Angst und Ungewissheit.
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