: Over soll für Schutz vor sich selbst bezahlen
■ Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain will Ex-Hausbesetzer und PDS-Abgeordneten Freke Over auf Zahlung von 300.000 Mark verklagen. Er soll für Sicherungsmaßnahmen gegen eine erneute Besetzung aufkommen
Die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) will den Ex-Besetzer und PDS-Abgeordneten Freke Over in den finanziellen Ruin treiben. Mit einer Zivilklage vor dem Landgericht soll Over zur Zahlung von exakt 302.340 Mark und 68 Pfennig Schadensersatz verdonnert werden. Die Summe ergibt sich aus „Sicherungsmaßnahmen“, die die Wohnungsbaugesellschaft nach der Räumung des Grundstückes Alt-Stralau 46 vorgenommen hat.
Die Räumung war im April 1996 erfolgt, nachdem die WBF Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt hatte. Unter den etwa 30 Besetzern befand sich auch Freke Over.
Die „Sicherungsmaßnahmen“ begründen die Anwälte der Wohnungsbaugesellschaft mit der Gefahr einer erneuten Besetzung durch Freke Over und seine Mitbewohner. Der Aktion habe „durch die führende Rolle“ Overs „ein politischer Hintergrund zugrundegelegen, der eine Fortsetzung der Hausbesetzung höchstwahrscheinlich machte“, heißt es in der Klageschrift.
Die Anwälte berufen sich in ihrer Argumentation auf eine Ausnahmerechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Freke Over habe durch sein Verhalten die Wohnungsbaugesellschaft zu den Sicherungsmaßnahmen „herausgefordert“. Deshalb seien diese „keine ungewöhnliche oder gar unvernünftige Reaktion auf den Hausfriedensbruch“. Um die Gefahr einer erneuten Besetzung zu belegen, führen die Anwälte einen Wahlslogan des Friedrichshainer PDS-Direktkandidaten an: „Freke Over – gut besetzt“. Um ihr eigenes Prozessrisiko gering zu halten, klagt die Wohnungsbaugesellschaft zunächst einen Teilbetrag von 60.001 Mark ein.
Vor wenigen Tagen hat das Landgericht die Gesellschaft aufgefordert, die „Sicherungsmaßnahmen“ detailliert darzulegen und darüber hinaus „nachvollziehbar“ zu machen, woraus sie ihre Ansprüche gegen den Beklagten herleitet. Die Verwendung eines „doppelt deutbaren politischen Slogans dürfte dazu nicht reichen“, heißt es.
Mit der Durchsetzung ihrer Forderung hat die Wohnungsbaugesellschaft eine renommierte Anwaltskanzlei beauftragt: Die Kanzlei Knauthe, Paul und Schmitt. Karlheinz Knauthe gilt unter Kollegen als eine einflussreiche Persönlichkeit mit besten Kontakten bis in den Senat. 1991 geriet er in die Schlagzeilen, als er dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) Vorschläge zum Umgang mit Grundstücken von Alteigentümern unterbreitete. Später wurde daraus das Investitionsvorranggesetz. Über zahlreiche Sitze in Aufsichtsräten dirigiert er die Geschicke der Berliner Wirtschaft.
Für den Geschäftsführer des Mietervereins, Hartmann Vetter, wirft die Klage eine „interessante Rechtsfrage“ auf. Man dürfe gespannt sein, wie das Gericht entscheidet. Freke Over, der sich ebenfalls einen Anwalt genommen hat, nimmt die Klage derzeit „nicht so ernst“. Den Bezug auf das Wahlplakat findet er „köstlich“. Sollte er tatsächlich zur Zahlung verurteilt werden, wäre er „komplett ruiniert“. Nach Angaben des Landgerichts ist im März oder April mit der mündlichen Verhandlung zu rechnen.B. Bollwahn de Paez Casanova
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