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„Kein Bock mehr zu reden“

In Call Centern herrscht eine feste Regel: Nur mit der Zielperson sprechen! Ob die Beschäftigten dick, dünn oder gepierct sind, ist dem Chef egal – Hauptsache, sie säuseln ■ Von Richard Rother

Sie lächeln nicht nur am Telefon, sie lächeln auch von der Wand. Von jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin hängt ein kleines Polaroid-Foto an der beige gestrichenen Bürowand, eine alte Fabrikmauer im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Die Fotos der zumeist jungen Leute, alle mit handgeschriebenen Namen versehen, sind den Projekten zugeteilt, die das neueste Call-Center Berlins betreut. Klassische Abteilungsgrenzen sind out in der frisch sanierten Fabrikhalle auf dem ehemaligen AEG-Gelände. Das soll die Identifikation der Mitarbeiter mit der Firma, der Agentur für Direkmarketing (ADM), stärken.

Einer von ihnen ist Martin Hansen (Name geändert). Seit einigen Wochen sitzt der BWL-Student täglich in einer ein Meter breiten halboffenen Kabine. 20 dieser Kabinen stehen in einer Reihe, insgesamt gibt es 200 Telearbeitsplätze. „Guten Tag, mein Name ist Martin Hansen. Bitte helfen Sie mir kurz weiter, stimmt die uns vorliegende Praxisadresse noch?“, säuselt Hansen und blickt konzentriert auf die blaue Kabinenwand, keinen halben Meter von seinem Kopf entfernt.

Nachdem der Kontakt zu der Sprechstundenhilfe aufgebaut ist, kommt der Student zum Kern. „Wäre es möglich, ein kurzes Gespräch mit Doktor Müller zu führen?“ Aber der Doktor hat gerade keine Zeit – Hansens Oberkörper knickt fast unmerklich ein. „Gespräche nur mit der Zielperson führen!“, mahnt ein Zettel an der Kabinenwand. Jeder ADM-Mitarbeiter, genannt Call-Agent, muss prinzipiell alles können: Ärzten neue Antibiotika anbieten, Kundinnen über neue Kontrazeptiva aufklären, Kunden des Gasversorgers Gasag beraten oder fernmündlich bei ausgelaufenen Waschmaschinen helfen.

Das Geschäft mit den freundlichen Telefonstimmen boomt. Nirgendwo sind in kurzer Zeit so viele Jobs in den Telefonzentren entstanden wie in der Hauptstadt – rund 6.000 innerhalb der letzten drei Jahre. Der Mythos vom Aufstieg zur so genannten Dienstleistungsmetropole – in Ansätzen wird er Realität.

Auf dem ehemaligen Industriegelände im Wedding haben solche Unternehmen ihre Büros in den riesigen Backsteingebäuden eigerichtet: private Radiosender, Medienagenturen und die ADM. Sie schaffen die viel beschworenen Dienstleistungsjobs: Während es in einer der Radiostationen nicht einmal zwei Dutzend der beliebten Kreativ-Jobs gibt, werden sich bei der ADM demnächst 400 Menschen die Köpfhörer überziehen.

In der Fabrikhalle ist es erstaunlich ruhig. Leise schwirren die Stimmen der Call-Agents durch den hohen, hellen Raum. Junge, hip gekleidete Leute laufen durch die Gänge. „Ob einer dick, dünn oder gepierct ist, ist mir egal. Hauptsache, er kann telefonieren“, sagt ADM-Geschäftsführer Thomas Steinle, ein smarter, braun gebrannter 33-Jähriger.

Direkten Leistungsdruck gebe es nicht, sagt Hansen. Wie alle Studenten bekommt er 16 Mark pro Stunde, Festangestellte kriegen 4 Mark mehr. Auf ein Gespräch möchte er sich nicht einlassen. Er müsse zehn Anrufe pro Stunde schaffen, sagt er und wählt die nächste Nummer. Ein Drittel aller Beschäftigten sind Studenten, der Rest Vollzeit- oder Teilzeit-Mitarbeiter. Sie arbeiten in einem hochflexiblen Schichtbetrieb. Die Dienstpläne werden immer erst in der Vorwoche gemacht.

Der Agent-Trainer, ein etwa 40-jähriger Mann, läuft durch die „Schloßstraße“ – jeder Gang, jeder Raum in der frisch sanierten Fabrikhalle trägt einen Namen aus dem Monopoly-Spiel. Alles ist mit Parkett ausgelegt, sämtliche Möbel designt. Der Ausbilder beugt sich zu Hansen in die Kabine, lauscht seiner Gesprächsführung. Qualitätskontrolle. „Wir machen das offen“, sagt Steinle. Es sei tabu, sich anonym in die Gespräche einzuschalten, wie das in anderen Call-Centern üblich sei. „Wer seine Mitarbeiter nur auspresst, erreicht nichts.“

Davon wissen Call-Agents ein Lied zu singen. Rainer, ein Jurastudent berichtet, dass er in dem Call-Center einer Versicherung nur eine Leistungsprämie erhalten habe. Leistung – das bedeutet, Selbständige zu überreden, einen Termin mit einem Vertreter auszumachen. Thema: die private Altersvorsorge. Pro Termin gab es 20 Mark. Nach drei Tagen Arbeit hatte Rainer 40 Mark verdient. „Da hab ich meine Karriere als Agent beendet.“

Katrin hat damit gerade erst angefangen. Die Psychologie-Studentin arbeitet für 20 Mark pro Stunde im Call-Center einer Computer-Marketing-Firma in Mitte. Die Aufgabe des kleinen Studententeams besteht darin, Firmen, die Software gekauft haben, über ihre Erfahrungen damit zu befragen. „Manchmal ergeben sich richtig gute Gespräche.“ Die Arbeit sei anstrengend, mache aber auch Spaß. Das sehen die anderen im Studi-Team ähnlich: Auf eigene Initiative ist die Gruppe zur Cebit nach Hannover gefahren – um neue Kunden zu akquirieren.

So viel Engagement ist Sabine, einer studierte Soziologin, fremd. „Das ist Knochenarbeit.“ Sabine hat schon in verschiedenen Call-Centern gearbeitet, immer auf Studentenbasis. Zurzeit nimmt sie in einer Internet-Service-Agentur Anrufe erboster Kunden entgegen. „Abends hast du keinen Bock mehr, mit Leuten zu reden.“ Auf subtile Weise werde ihr klargemacht, wie viele Anrufe sie zu schaffen habe. „Wenn nicht, schmeißen die dich einfach raus.“

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