: Kirche beschließt die Auferstehung
Der Protestantismus ist eine vielfältige Angelegenheit und ein wöchentliches „Allgemeines Sonntagsblatt“ wert. Das fehlt ihm allerdings demnächst – und als Ersatz gibt es zukünftig eine Monatsbeilage ■ Von Margret Steffen
„Immer wieder Sonntags ... kommt die Erinnerung“ – viel mehr als Erinnerung wird den den letzten treuen Lesern des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts (DS) vermutlich nicht bleiben. Künftig müssen sie ihr Frühstücksei ohne erbauliche Wochenendlektüre löffeln. Mit dem bundesweiten Zentralorgan des deutschen Protestantismus geht es zu Ende. Am Freitag hat der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) entschieden, was vom DS übrigbleiben wird: eine monatliche Beilage in der Süddeutschen Zeitung nämlich, mit jährlich 4,5 Millionen Mark von der Kirche bezuschusst.
An einer monatlichen Dreingabe als Nachfolgeprojekt des stolzen DS hatte die Redaktion seit geraumer Zeit gearbeitet – unter dem optimistischen Arbeitstitel Credo, zu deutsch „Ich glaube“.
Verkorkste Verhältnisse mit verkorkstem Marketing
Und starken Glauben müssen die DS-Mitarbeiter in Hamburg auch weiterhin haben, wenn sie, so ihr Chef Arnd Brummer „das Undenkbare denken und eine qualifizierte Magazinredaktion aufbauen“. Nebenbei schmeißen die etwa 30 Leute den Alltagsbetrieb, denn noch nimmt das DS pünktlich zum Wochenende treffsicher Entwicklungen in Politik und Lebenswelten ins christliche Visier. Das ist auch seine Berufung seit der Gründung 1948 – immer aktuell jene Fragen zu stellen, die oft hintenan stehen, Fragen nach den Vergessenen und Verfolgten, nach ethischen Grundsätzen und dem Sinn hinter allem.
Der Leser wird dabei nicht zwangsläufig auf den lieben Herrgott gestoßen: „Protestantismus ist so eine vielfältige Sache, darüber muss man qualifiziert streiten. Heutzutage auf existenzielle Fragen einzugehen, ist Sache der Journalisten und nicht nur der Prediger“, sagt Brummer. Deswegen geht es unter der Überschrift „Glaube? Reine Nervensache!“ um den Glaubensvorgang und wie er im Gehirn biologisch entsteht. Oder um das verkorkste Verhältnis von Christen zur Körperlichkeit. Antje Vollmer schreibt über Stiftungsrecht, der CDU-Spendenskandal wird auf moralische Abgründe hin untersucht.
Diese Art protestantischer Frontenwanderung hat die DS-Leser nie zu einem verwöhnten Breitenpublikum machen können. Noch dazu nahm das Blatt Mitte der 80er Jahre gewaltigen Imageschaden durch eine „katastrophale Vertriebspolitik“, heißt es in Kirchenkreisen. Drückerkolonnen zogen mit dem DS und derart unchristlichen Werbemethoden durchs Land, dass sich die örtlichen Pfarrer diese Praxis verbaten. Später gab es erst recht kein Geld für ordentliches Marketing.
Die EKD besitzt zusammen mit den Landeskirchen 50 Prozent am DS und gleicht seit Jahren dessen Verluste aus, um weiter die protestantische Botschaft unter das Gläubigenvolk bringen. Nun haben es Wochenzeitungen generell schwer auf dem Zeitungsmarkt, und auch das sattelfestere katholische Pendant, der Rheinische Merkur, erhält amtskirchliche Zuschüsse. Aber die Protestanten stritten sich immer lauter um die jährlich neun Millionen Mark, die das DS lebendig hielten. Einigen waren Redaktion und Schreibe schon lange zu weltlich. Denn mit der Professionalisierung des DS hatten viele Mitarbeiter für das journalistischen Handwerk mehr übrig als für Gottes Wort. Dazu fürchteten die Landeskirchen um die Förderung ihrer eigenen Blättchen. Die DS-Macher glauben heute, dass der öffentlich ausgetragene Hickhack letztlich dem Ansehen des Blattes geschadet hat.
Gescheiterter Blattreform folgte Auflagenschwund
EKD-Sprecher Hannes Schoeb weiß um den problematischen Spagat, bleibt aber pragmatisch: „Ein wirtschaftliches Projekt muss man wirtschaftlich behandeln.“ Damit meint er auch die Empfehlung von Unternehmensberatern, das Sorgenkind schleunigst zum Monatsmagazin zu machen. Es gab eine Phase, wo eine Blattreform die nächste jagte. Zur letzten EKD-Synode im Herbst lagen dann auch bittere Fakten auf dem Tisch: Einzelabonnenten stellen nur noch den Zwergenanteil, die Auflage tragen Sammelbestellungen von Gemeinden oder Fluggesellschaften, die das DS kostenlos verteilen. Bis Ende 1999 sank die Auflage auf 43.400 Exemplare. Das wird sich jetzt ändern: Mit der Eingliederung in die Süddeutsche Zeitung soll auch die Auflage auf rund eine Million erhöht werden.
Der Süddeutsche Verlag (SV) hatte schon länger Interesse am DS als Sanierungsprojekt signalisiert. Er besitzt bereits die zweite Hälfte des Sonntagsblatts und wird dessen Nachfolgeheft einmal im Monat u. a. der Süddeutschen Zeitung beilegen. Die EKD lehnte bisher ab, weil sie weiter zuzahlen und aus rechtlichen Gründen die gesamte Redaktion und bisherige Publikationslinie hätte weiterführen müssen. Dass die Zusammenarbeit von EKD und SV jetzt zustande kam, dürfte nicht nur der gelungenen Credo-Nullnummer zu schulden sein. „Einzig die wirtschaftlichen Argumente zählen bei einem solchen Beschluss“, sagt Schoeb mit Blick auf die 22,5 Millionen Mark, die von den Kirchenoberen nun für Credo lockergemacht werden müssen.
Die mit Publizistikpreisen überhäufte Sonntagsblatt-Redaktion feilt derweil unverdrossen am Perspektivenwechsel. „Wir werden voraussetzungsloser arbeiten“, sagt Brummer. „Religiöses Interesse hängt nicht von Schichtenzugehörigkeit ab. Das wird ein spannendes Publikum.“
Der Süddeutsche Verlag steht zum Monatskonzept
Der Süddeutsche Verlag steht zu dem Projekt: „Wenn die EKD zustimmt, hat die Beilage unsere Unterstützung“, sagt Sprecherin Anja Gerstenberg bereits im Vorfeld. Dabei geht es dann auch um weitere Partner (im Gespräch ist auch Die Zeit) für den Vertrieb als Zeitungsbeilage, denn die EKD will, dass „geographisch ausgewogen“ verteilt wird. Welche Leser demnächst das frischgebackene Credo in welcher Zeitung finden, bleibt also weiter offen.
Ob der Weg zur Beilage auch Auferstehung bedeutet, bleibt abzuwarten. Rückmeldungen von Lesern könnten dünn werden, die kostenlose Erinnerung an Kirche und Christentum wohlfeil im Müll landen – zusammen mit anderen Werbeprospekten. Eine „typisch deutsche Denke“ sei das, sagt Brummer – den Vertriebsweg über Qualität entscheiden zu lassen. In Amerika seien ähnliche Supplements üblich, hier jedoch wolle man sich alles extra kaufen.
Extrawege hat übrigens auch die Kirche gerne beschritten, solange die Finanzen stimmten. Bisher leistete sie sich sogar eine eigene Journalistenschule, die besonderen Wert auf ethische und soziales Aspekte legte. Sonntagsblatt und Schule galten in Sachen Finanzspritzen von oben immer als heimliche Konkurrenten. Vor wenigen Tagen nun folgte der Entschluss, zugunsten von Credo die Schule zu schließen.
Vielleicht aber wäre das Geld mit einer neuen Kampagne gegen Einkaufssonntage besser angelegt. Damit der Friede am Sonntag auch ohne Sonntagsblatt gewahrt bleibt. Der Erinnerung wegen.
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