Der Krieg der Kindersoldaten in Kolumbien

Bei der linken Guerilla und den rechten Paramilitärs kämpfen immer mehr Kinder. Sie legen Minen, organisieren Überfälle, machen Botengänge – und werden erschossen wie andere Soldaten auch ■ Aus Bogotá Ingo Malcher

Nach geschlagener Schlacht werden die Leichen ausgestellt. In einer überdachten Busstation liegen die Kadaver der erschossenen Guerilleros auf weißen Leinentüchern. Daneben wachen Soldaten. Sie strecken ihre israelischen Schnellfeuergewehre zum Himmel, Patronengürtel hängen ihnen von der Schulter zum Becken.

Militärärzte mustern die Toten, Offiziere suchen nach bekannten Gesichtern. Fast die Hälfte aller toten Rebellen sind Jugendliche.

Nur 40 Kilometer vor der Stadtgrenze von Bogotá haben sich diesmal die kolumbianische Armee und die Guerilla, Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (Farc) ein Scharmützel geliefert. Die Farc rücken immer näher vor in Richtung Hauptstadt, die Streitkräfte setzen immer öfter US-amerikanische Black-Hawk-Hubschrauber ein, um den Vormarsch der Guerilla zu stoppen.

Immer mehr Kinder kämpfen im kolumbianischen Bürgerkrieg – vor allem für die Guerilla und die rechten Paramilitärs. Bei der Guerilla heißen sie „Abejitas – Bienchen“, weil sie schnell wieder verschwinden, bevor der Feind sie schnappen kann; bei den Paramilitärs werden sie „Campanitas“ genannt, „Glöckchen“, weil sie die Kinder als Alarmsystem einsetzen. Ein Ende ist nicht abzusehen, allen Friedensgesprächen zwischen Guerilla und Regierung zum Trotz. Farc-Chef Manuel Marulanda, genannt Tirofijo („Blattschuss“), hat erst vor kurzem in einem Fernsehinterview angekündigt, weiterhin Jugendliche ab 15 Jahren rekrutieren zu wollen.

Das Militär hat alle Minderjährigen in seinen Reihen vor kurzem ausgemustert. Wer will, kann dennoch mit 15 in die Militärschule eintreten und sich in soldatischer Disziplin üben, bevor er sich mit 18 in die Truppe einreiht.

Etwa 8.000 Kinder, so die Schätzungen, kämpfen in den Reihen der Bürgerkriegsparteien. Bei der Guerilla sind in manchen Gruppen schon fast 30 Prozent der Kämpfer jünger als 18 Jahre, in manchen Einheiten der Paramilitärs sogar über 50 Prozent. „Täglich sterben in Kolumbien zwölf Kinder im Bürgerkrieg: fünf werden ermordet, drei sterben in Verkehrsunfällen, ein Kind begeht Selbstmord, und drei sterben aus ungeklärten Fällen“, zählt Beatriz Linares, Kinderbeauftragte der staatlichen Petitionsstelle auf.

In einem Drittel des Landes gibt es keinen Staat. Keine Schulen, keine Gesundheitsposten, keine Ausbildungsmöglichkeiten, keine Arbeit. Bei der Guerilla gibt es wenigstens etwas zum Essen, Kleidung und einen Sold. Über 85 Prozent aller jugendlichen Guerilleros geben an, freiwillig zur Guerilla gestoßen zu sein.

In einem Heim in Bogotá wohnen fast 100 ehemalige jungendliche Guerillakämpfer, die festgenommen wurden oder desertiert sind. Viele kommen traumatisiert vom Krieg, da sie niemals eine andere Wirklichkeit kennenlernten.

Juan Camilo* ist heute 16, mit 11 Jahren ging er zur Guerilla. „Mein Bruder wurde vom Militär festgenommen, mein Stiefvater saß im Gefängnis, fast meine ganze Familie war tot. Vielleicht habe ich mich deswegen so früh der Guerilla angeschlossen.“ Der Junge wollte sich rächen.

Bei ihm zu Hause bewachten er und sein Bruder gemeinsam mit dem Stiefvater einige von der Guerilla entführte Parlamentsabgeordnete. „Einer von ihnen ist uns abgehauen“, erzählt er. Danach dauerte es nicht lang, da stand die Armee vor der Tür und zündete das Haus an. „Das war es, was mich zur Guerilla trieb. Kurz nachdem ich zwölf Jahre wurde, ging ich kämpfen.“

Für die kolumbianische Regierung ist es unannehmbar, dass die Farc weiterhin 15jährige in den Krieg führen will. Als „inakzeptabel“ erklärte Innenminister Néstor Humberto Martínez die Haltung der Guerilla. „Kinder werden zum Träumen gemacht, nicht zum Kriegführen“, sagt der Minister. Als ob es da, wo diese Kinder herkommen, Platz für Träume gäbe.

Auch die Vertreterin des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen (Unicef) kritisierte die Entscheidung der Farc. Den Kindern sollte „beigebracht werden mit einem Bleistift umzugehen, nicht mit einer Waffe. Die Kinder dürfen im Krieg weder zu Opfern noch zu Mördern gemacht werden.“

Doch auch in den Reihen der Paramilitärs zählen Kindersoldaten zum normalen Alltag. In den Regionen Magdalena, Santander und Antoquia haben die rechtsgerichteten Gruppen sogar einen obligatorischen Militärdienst eingeführt. Familien, die in von Paramilitärs kontrollierten Gegenden leben, müssen einen oder zwei Söhne für zwei Jahre zum Militärdienst bei den von Großgrundbesitzern finanzierten Söldnertruppen schicken.

Andere werden einfach nur auf der Straße aufgeschnappt und dazu gezwungen, sich die Uniform der Paramillitärs überzuziehen. Schon Elfjährigen werden Aufgaben übertragen. Viele Minderjährige müssen für die Paramilitärs Anti-Personen-Minen basteln, sie verlegen oder entdecken. Sie werden aber auch als Bote, Koch oder Bewacher eingesetzt oder müssen sich an Entführungen beteiligen.

Bei der kolumbianischen Armee sieht man in der Regel nur die Kindersoldaten der Guerilla. „Es ist schon schwierig, wenn man einen Guerillero im Visier hat und man sieht plötzlich, dass das ja noch ein Junge ist“, sagt ein Oberst, der die Ausbildung von jungen Soldaten leitet. Aber er drückt dann trotzdem ab. „Wenn du ihn nicht niedermachst, erschießt er einen Kameraden von dir.“ Trotzdem, sagt er, bleibt, ein „fader Beigeschmack.“

* Name von der Redaktion geändert