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Peinliches Ende einer Anti-Rassismus-Trilogie

Nicht die Gesellschaft ist rassistisch, nur der einzelne Cop: Norman Jewisons konsumentenfreundlich zugerichtetes Hollywood-Rührstück „Hurricane“ erzählt eine durch und durch gefälschte Geschichte. In bester pädagogisch Absicht, doch mit dem denkbar dümmsten Ergebnis

Norman Jewison hat, so sagt er, mit „Hurricane“ seine ganz persönliche Anti-Rassismus-Trilogie vervollständigt. Seine Verfilmung der Lebensgeschichte des Boxers Rubin „Hurricane“ Carter, der 19 Jahre wegen eines Dreifachmordes im Gefängnis saß, den er nicht begangen hatte, soll fortführen, was Jewison mit „In the Heat of the Night“ (1966) und „A Soldier's Story“ (1984) begann.

Jene bürgerrechtsbewegte Reputation war es auch, die Jewison den Regieauftrag für „Hurricane“ verschaffte - auf Fürsprache Denzel Washingtons, der bereits als Hauptdarsteller feststand. Dann aber lieferte Jewison nicht nur das zu erwartende, tränenselige Hollywood-Rührstück ab. Er torpedierte seine grundguten Absichten regelrecht, indem er den eh schon pädagogischen Auftrag noch plakativer gestaltete. Im Sinne konsumentenfreundlicher Vereinfachung verfälschten die Drehbuchautoren Armyan Bernstein und Dan Gordon nicht nur die historischen Tatsachen der Bluttat von 1966, ihre Vorgeschichte, den Verlauf der Prozesse und die Ermittlungsergebnisse, sondern sie schönten darüber hinaus auch die Lebensgeschichte von Carter.

Nun sind solche Verfahren in Hollywood durchaus üblich. Aber die Art wie die Produktionsgesellschaft Universal Pictures den Film in den USA ausdrücklich nicht als „based on“ sondern als „the triumphant true story“ bewarb, ließ dann doch tief blicken. Am Ende dienten die historischen Unkorrektheiten den ehemaligen Ermittlern wie den Angehörigen der Mordopfern, den Film und damit Carter erneut zu diskreditieren.

Was die Kritiker besonders erzürnt ist die Figur des Detective Vincent Della Pesca, der den armen Carter seit dessen elftem Lebensjahr mit nahezu religiösen Eifer verfolgt. Dazu setzt er Zeugen unter Druck, fälscht und unterdrückt Beweise, und bedroht schließlich sogar die kanadische Kommune, die zur Unterstützung von Carter anreist. Einen Detective Della Pesca aber gab es nie. Stattdessen jedoch ein gut funktionierendes Netzwerk aus rassistischen Cops, Ermittlern, Staatsanwälten und Richtern. Nicht ein einzelner rassistischer Fanatiker brachte Carter hinter Gitter. Vielmehr war er Opfer der allgemeinen Geisteshaltung der weißen Mehrheit in den 60ern, die sich von Rassenunruhen und der Bürgerrechtsbewegung bedroht wähnte. Rubin Carter (62) selbst, der inzwischen in Kanada lebt und eine Gesellschaft leitet, die sich für unschuldig verurteilte Strafgefangene einsetzt, lobte „Hurricane“ zwar anfänglich als „vollkommen wahr“, ruderte mittlerweile aber zurück und bezeichnet den Film-Detektiv nur mehr als „zusammengesetzt aus verschiedenen Personen“.

Damit nicht genug: Vom Standort des Fluchtfahrzeugs über die Anzahl der Personen im Auto bis zur Zusammensetzung der Geschworenen stimmt wenig. So wird Carter im Film der Satz in den Mund gelegt, er sei von „two lily-white juries“ verurteilt worden. Tatsächlich befanden sich zwei Afro-Amerikaner unter den Geschworenen des zweiten Prozesses in den 70ern, den massive öffentliche Proteste und die Unterstützung von Prominenten möglich gemacht hatten. Anderes wird schlicht verschwiegen, etwa, dass man in Carters Wagen bei seiner Festnahme eine Waffe fand.

Völlig obskur auch, wie der in Kanada geborene Jewison die dreiköpfige kanadische Kommune darstellt, die den Film-Carter schließlich quasi im Alleingang aus dem Gefängnis holt, indem sie bisher unterdrücktes Beweismaterial recherchiert. Nicht nur ist diese Suche nach Beweismaterial eine dramaturgische Erfindung, um noch etwas Fahrt in den Film zu bekommen, auch die Beziehungen innerhalb der Wohngemeinschaft werden völlig im Dunklen gelassen. Im wahren Leben bestand die sektenähnliche Kommune aus ungefähr 10 Personen und ihr Beitrag zur Rehabilitation Carters in finanzieller Unterstützung. Die Hauptarbeit leisteten dagegen mehrere Rechtsanwälte, die jahrzehntelang ohne Bezahlung an dem Fall arbeiteten, im Film aber als selbstzufriedene Sesselpuper porträtiert sind. „Wenn man aus dieser Geschichte eine Seifenoper macht, anstatt das richtige Material zu benutzen“, klagte Lewis Steel, einer der Anwälte Carters nachdem er den Film sah, „tut man niemanden einem Gefallen“. Dass sich Carter nach seiner Freilassung mit der Kommune überwarf, weil er sich zur Geldbeschaffung mißbraucht fühlte, wird im Abspann nicht erwähnt.

Dieser freizügige Umgang mit den Tatsachen dient dazu, Carter mit aller Macht zum eindimensionalen Heiligen ohne Fehl und Tadel umzuschreiben. Komplett verschwiegen wird die gewalttätige Vergangenheit des Preisboxers: Carter saß wegen dreier Raubüberfälle bereits vor den Morden vier Jahre im Gefängnis, er schlug sich des öfteren in Kneipen und wurde vorzeitig aus dem Militärdienst entlassen. Im Film aber kommt Carter hochdekoriert von der Army zurück. Der mitangeklagte John Artis, der immerhin auch 15 Jahre unschuldig im Gefängnis saß, wird dagegen marginalisiert, auch wenn ihn Carter in einem Nebensatz kurz vor Filmende als seinen Helden charakterisiert.

Schließlich schreibt „Hurricane“ auch die Sportgeschichte um. Der Film macht Carter in grandios inszenierten Kampfszenen zu einem schier unbesiegbaren Überboxer, für dessen Darstellung Denzel Wahsington zwei Jahre lang trainierte, 18 Kilo abnahm, den Golden Globe gewann und für den Oscar nominiert ist. Tatsächlich aber gehörte der zum Zeitpunkt der Morde bereits 29jährige Carter zwar zum erweiterten Anwärterkreis auf den Titel, aber er hatte im Jahr 1966 nur eine ausgeglichene Kampfbilanz von jeweils sieben Siegen und Niederlagen. Vor allem suggeriert der Film, Carter sei in einem Mittelgewichts-Titelfight gegen den damaligen Weltmeister Joey Giardello von einem rassistischen Kampfgericht betrogen worden. In Wahrheit gewann Giardello, der den Titel jahrelang hielt und in die Boxing Hall of Fame aufgenommen wurde, den Kampf eindeutig nach Punkten, wie anerkannte Sportjournalisten noch heute bestätigen. Den WM-Gürtel bekam Carter nach seiner Freilassung aus „symbolischen“ Gründen für seine 20jährige Leidenszeit verliehen, nicht weil der Titelkampf verschoben worden wäre.

Die wahre Geschichte von Rubin Carter hätte ein eindrücklicher Film werden können. Die Wahrheit aber ist selten so einfach, wie Hollywood sie gerne hätte.

Thomas Winkler

„Hurricane“ , Regie: .Norman Jewison, mit Denzel Washington, Vicellous Reon Shannon, Rod Steiger u.a. , USA 1999, 145 Min.

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