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Nur drei Tage Zeit

Münchens Boulevardpresse hat es schwer mit dem schlimmen Mehmet. Bei so viel Läuterung geraten „gut“ und „böse“ schon mal durcheinander

Zwei Reporter der Münchner Bild-Zeitung bekamen Anfang dieser Woche einen Auftrag. Einen spannenden. Sie sollten über die bevorstehende Rückkehr von Mehmet nach München berichten. Große Story. Tolle Sache. Doch ganz sicher waren sie sich nicht, wer dieser Mehmet nun gleich wieder war. War das jetzt ein Guter oder ein Böser? Schnell machten sie sich auf den Weg zum hauseigenen Archiv.

Unten im Keller lag ein ganzer Stapel, leicht verstaubt und fast vergilbt, Bild, tz und Abendzeitung. „Deutschlands kriminellstes Kind“ stand auf einer alten Titelseite. Jetzt fiel es ihnen wieder ein: Dieser Mehmet war der türkische Serienstraftäter, über den die Boulevardpresse vor zwei Jahren so lange schimpfen musste, bis er endlich 14 wurde und der Münchner OB-Wahlkampf in die Gänge kam. Da hatten dann auch SZ und SPD nicht mehr viel gegen die Abschiebung des „Monsters“ einzuwenden.

Schöne Zeiten waren das, mögen sich die Reporter erinnert haben. Nun konnte es also wieder losgehen, die Verhandlung über seine Ausweisung stand an. Lustig, dass der Bengel unter anderem einreisen durfte, weil die Richter meinten, er könnte diesmal nichts anstellen, da er „ständig von Medienvertretern verfolgt und beobachtet wird“. Wie wahr. Wie schön.

Aber Obacht! Die Betretenserlaubnis sollte nur für drei Tage gelten. Danach wäre er ja für immer weg. Dann könnte man ja nie mehr über ihn schreiben. Das durfte nicht passieren. So beschlossen die Reporter in einem Anflug wilder Panik, aus der Aktion Sorgenkind eine Aktion Mensch zu machen. „Es geht um die Zukunft eines jungen Menschen“, tippten sie und weinten ein bisschen. „Er wird am Freitag wieder in die Verbannung zurückkehren müssen.“ In die Türkei! Bei dieser schrecklichen Vorstellung bekamen sie jetzt wirklich Mitleid. Da soll es ja eine Zeitung namens Hürriyet geben, die Mehmet erst zum „sympathischsten Menschen in Istanbul“ kürte und später als „Verbrechensmaschine“ diffamierte.

Zustände sind das in der Türkei. Gerührt gaben sie ihm den Rat, er solle die Richter darauf hinweisen, dass er „in diesem qualvollen Jahr gereift ist“. Als die Reporter mit ihrem Artikel fertig waren, hatten sie sich so sehr mit dem armen Mehmet identifiziert, dass sie bei der Überschrift vergaßen, den Satz „Ich bin jetzt ein ganz anderer Mensch“ mit Anführungszeichen zu versehen. Mehmet war jetzt ein Guter. Und sie waren gut. Und alles würde gut werden.

Von wegen. Der nächste Tag muss furchtbar gewesen sein. Denn im Gegensatz zu den beiden Bild-Reportern war der Kollege von der Süddeutschen kein anderer Mensch geworden. Er hatte sich nicht Sentimentalitäten hingegeben, sondern knallhart recherchiert und ausschließlich kompetente Fachleute zu dem „jungen Rowdy“ befragt. Vom Polizeipräsidenten bis zum einstigen CSU-OB-Kandidaten.

Alle zusammen kamen sie zu dem Ergebnis, Mehmets Abschiebung sei nicht nur richtig, sondern wichtig – und zu wenig. Junge Ausländer führten sich auf wie eh und je. Das bewiesen „die neuesten Zahlen“. Also verzichtete auch die SZ bei ihrer Schlagzeile auf Gänsefüßchen: Mehmets Abschiebung schreckt nicht mehr ab. Stand da ganz trocken. Exlusiv in der liberalen SZ! – Was nun, Bild?

Dieselben Reporter, die eben noch Mehmet und sich selbst geläutert hatten, schrieben nun wieder vom „Serienstraftäter, der aggressive und brutale Taten beging“ und schlossen messerscharf: „Die Abschiebung jugendlicher Straftäter muss den Ruch des Besonderen verlieren.“

Ein schöner Satz. Leider stammt er vom Münchner Polizeipräsidenten: „Das sagte er gestern der Süddeutschen Zeitung. Er hätte es vor zwei Jahren sagen sollen.“ Oder vor zwei Tagen, zu den kurzzeitig verwirrten Bild-Reportern. Dann wäre es ihnen nicht passiert, dass sie sich einmal, ein einziges Mal dazu hinreißen ließen, gut und böse zu verwechseln. Aber egal, jetzt ist er ja wieder weg. Ist eben doch besser so. Sollen sich die Türken um ihn kümmern. LUKAS WALLRAFF

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