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Todesfalle Straßenverkehr

Entgegen dem bundesweiten Trend ist die Zahl der Verkehrstoten in Berlin im vergangenen Jahr angestiegen. Aber nicht bei Autofahrern, sondern Fußgängern, Radlern und Motorradfahrern

von UWE RADA

Gestern Morgen, Bezirk Reinickendorf: Beim Überqueren der Kreuzung Oranienburger Straße/Alt-Wittenau kommt eine einundfünfzigjährige Fußgängerin ums Leben. Sie wollte die Straße bei Rot überqueren und wurde von einem PKW erfasst. Der zweiundzwanzig Jahre alte Autofahrer erlitt einen Schock. Eine Blutentnahme wurde angeordnet.

Soweit die Polizeimeldung von gestern. Hinter den kurzen Angaben verbirgt sich nicht nur ein menschliches Schicksal, sondern auch eine statistische Entwicklung, die Berlin vom Rest der Republik unterscheidet. Während die Zahl der Verkehrstoten in der Bundesrepublik auch im letzten Jahr weiter zurückgegangen ist, ist sie in der Hauptstadt wieder angestiegen. Bemerkenswert daran: Es sind vor allem die „schwächeren“ Verkehrsteilnehmer, die den Unfällen mehr und mehr zum Opfer fallen. Die Zahl der getöteten Autofahrer hingegen sinkt.

Über die Gründe des plötzlichen Anstiegs der Verkehrstoten in Berlin gehen die Meinungen auseinander. Der bündnisgrüne Verkehrsexperte Michael Cramer machte am Wochenende die Verkehrspolitik der Großen Koalition verantwortlich. Diese setze einseitig auf das Auto und empfinde die übrigen Verkehrsteilnehmer als störend. Außerdem habe der Innensenator versagt. Immerhin sei bei jedem zweiten Unfall überhöhte Geschwindigkeit oder Alkohol die Ursache. Cramers Forderung: Mehr Tempo-30-Zonen.

Dies will die Verkehrsverwaltung so nicht stehen lassen. „In Berlin sind 70 Prozent aller Straßen Tempo-30-Straßen“, sagt Petra Reetz, Sprecherin von Verkehrssenator Peter Strieder (SPD). Sie verweist auf andere Unglücksursachen wie fehlende Rücksichtnahme und Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Im Übrigen sei nach der Einführung der Tempo-30-Zonen die Zahl der Verkehrsunfälle nicht automatisch gesunken.

Trotz aller Differenzen steht eines fest. Die Autofahrer sind die statistischen Gewinner. Der Rückgang verunglückter PKW-Lenker bei gleichzeitigem Anstieg der Unfallzahlen zeigt, dass die technische Ausstattung der Fahrzeuge deutlich besser geworden ist. Airbag, Knautschzonen und Gurtpflicht haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Während in Brandenburg vor allem Autofahrer gefährlich leben, sind es in Berlin Fußgänger, Kinder, Senioren und, wie es sich im vergangenen Sommer gezeigt hat, zunehmend auch Motorradfahrer.

Zwar ist die Zahl der Verkehrstoten in Berlin im vergangenen Jahr gestiegen. Sie liegt allerdings in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg immer noch niedriger als im Rest der Republik. „Stau ist letztlich der sicherste Zustand auf Deutschlands Straßen“, meint dazu Wilfried Echternhof von der Kölner Gesellschaft für Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen.

Noch eine Meldung: Ein fünfundvierzigjähriger Berliner kam gestern auf der Bundesstraße 1 in Brandenburg ums Leben. Er starb, nachdem der Fahrer frontal gegen einen Straßenbaum gefahren war. An der gleichen Stelle war schon am Tag zuvor ein fünfzigjähriger Berliner gestorben. Zum Vergleich: Während 1998 in Berlin 85 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen, waren es in Brandenburg 495.

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