Breitseite gegen Korruption

Chinas Premier Zhu Rongji legt dem Nationalen Volkskongress eine nüchterne Bilanz vor, während hinter den Kulissen über seine Nachfolge und die von Parteichef Jiang Zemin diskutiert wird

aus Peking GEORG BLUME

Mit einer Kampfansage an Korruption und Sekten sowie Drohungen gegen Taiwan hat Chinas Premier Zhu Rongji gestern in Peking die jährliche Sitzung des Nationalen Volkskongresses eröffnet. In der Nähe der Großen Halle des Volkes verhaftete die Polizei derweil mindestens 17 Falun-Gong-Anhänger, die friedlich gegen das Verbot der Sekte demonstrieren wollten.

Das von Starreformer Zhu, dem einzig wirklich populären Politiker der KP Chinas, verkündete Regierungsprogramm für die kommenden zwölf Monate liest sich wie ein einziger Aufruf zur Korruptionsbekämpfung. Er spricht von„Schmuggel“, „Steuerhinterziehung“, „laxer Disziplin“ und „schlechter Ordnung“. Viel Bitterkeit über die Vergeblichkeit seiner eigenen Bemühungen schwingt mit, von alter kommunistischer Zuversicht fehlt jede Spur.

Erst am Samstag musste die Absetzung des stellvertretenden Vorsitzenden des Kongresses, Chen Kejie, wegen dessen Verwicklung in einen Bestechungsfall offiziell bestätigt werden. Chen, der als Vertrauter des Kongressvorsitzenden und Hardliners Li Peng gilt, steht nach Berichten Hongkonger Medien bereits seit Sommer unter Hausarrest. Sein Fall ist der letzte in einer Reihe höchster Kader, die in Korruption verwickelt sind.

Zhus Wirtschaftsbilanz ist ernüchternd: „Die effektive Nachfrage ist flau, die Widersprüche einer irrationalen Wirtschaftsstruktur spitzen sich weiter zu, der Beschäftigungsdruck wird größer, und das Wachstum des Einkommens der Bauern verlangsamt sich. In vielen Bereichen ist die Verwaltung nachlässig und die Effizienz niedrig, sind Verluste und Verschwendungen erschreckend hoch.“ Welcher Regierungschef im Westen könnte mit einer solchen Botschaft morgen noch regieren? Zhus Rolle hat sich im Laufe seiner Regierungszeit gewandelt. Zunächst war er Hoffnungsträger für große Veränderungen, heute ist er nur noch Garant für ein letztes Stück Ehrlichkeit in der Führung.

Vieles deutet darauf hin, dass Chinas derzeitige Machthaber den Höhepunkt ihrer Zeit überschritten haben. Schon ist vergessen, dass sich Jiang Zemin noch im Herbst zum 50. Jahrestag der Volksrepublik als ebenbürtig mit Mao Tse-tung und Deng Xiaoping darstellen ließ. Jetzt geht es schon um seine Nachfolge. Viele erwarten, dass er zum nächsten Parteitag 2002 als Parteichef, Staatspräsident und Vorsitzender der Militärkommission abtritt. Die Nachfolgediskussion ist jedoch noch nicht entschieden. Einflussreiche Verbündete Jiangs beharren darauf, dass er bis 2007 im Amt bleibt. Bis dahin soll nach Hongkong und Macao auch Taiwan mit dem Mutterland vereinigt werden. So erklären sich die verschärften Drohungen an Taiwan, bald mit Verhandlungen über die Wiedervereinigung zu beginnen.

Zhu ist gegen eine dritte Amtszeit Jiangs und lehnt auch für sich eine zweite Amtsperiode ab. Er stützt sich dabei auf eine inoffiziell von Deng vorgegebene Regel, die hohen politischen Führern maximal zwei Amtszeiten zubilligt. Bis hinein in die tonangebende Volkszeitung erhält Zhu Rückendeckung für einen schnellen Wechsel an der Parteispitze. Dabei reichen die Ideen der Reformer weiter als je in den vergangenen zehn Jahren: „Der Volkskongress muss tatsächlich höchstes Organ der Staatsgewalt sein“, fordert dieser Tage die intellektuelle Monatszeitung Yanhuangchunqin den Bruch mit dem Führersystem der Partei. „Ohne das politische System zu reformieren, kann man die Wirtschaftsreform nicht vertiefen, Machtmissbrauch und Korruption nicht überwinden und die gesellschaftlichen Konflikte nicht entschärfen“, schreibt das Blatt.

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