: Ziel: Der legale Ruhestand
Sie waren gefürchtet. Sie kämpften für Palästina. Jetzt wollen Ex-Terroristen der „Japanischen Roten Armee“ friedlich altern
von PETRA GROLL
Die Trauung geriet zum Medienereignis. Kein Wunder, immerhin handelte es sich um die erste Hochzeitszeremonie, die in einem libanesischen Gefängnis stattfand. Der 61-jährige Masao Adachi und die 39-jährige Libanesin Omayya Abboud wurden Ende Februar nach christlich-orthodoxem Ritual im Männerknast von Roumieh getraut. Außerdem ließ der bisherige Shinto-Buddhist sich am gleichen Tag taufen und heißt nun Abdullah. Den Trauzeugen des Bräutigams gab der prominente unabhängige Beiruter Parlamentsabgeordnete Najah Wakim. Zahlreiche Gäste feierten mit dem Brautpaar und 60 Journalisten, und diverse Fernsehteams eilten zur Berichterstattung herbei.
Hinter Masao (Abdullah) Adachi liegen jetzt drei Jahre in geordneten Verhältnissen, vor ihm wieder eine eher ungewisse Zeit. Davon haben er, drei Genossen und eine Genossin mehr erlebt als der durchschnittliche Westeuropäer und auch mehr als andere Menschen ihrer Herkunft. Die fünf JapanerInnen suchen politisches Asyl im Libanon. Am heutigen Tag haben sie dort ihre Haftstrafen verbüßt und hoffen nun, in Beirut bleiben zu können. Immerhin, so viel scheint nach einem Treffen des libanesischen Kabinetts am vergangenen Mittwoch fest zu stehen, bleibt ihnen eine Abschiebung nach Tokio erspart. In Japan ist man hinter ihnen her wie hinter der RAF in Deutschland.
Die fünf gehören der „Japanischen Roten Armee“ (JRA) an und sind mit der bundesdeutschen „Rote Armee Fraktion“ nicht nur namensverwandt. Japanische, deutsche und andere Militante kamen zusammen, wo ein weiterer Funke der 68er gezündet hatte, im Libanon. Ausgehend von der Universität Beirut war dort die „Panarabische Nationalbewegung“ entstanden, die gegen die arabischen Despoten, den „zionistischen Feind“ und den US-Imperialismus mobilisierte.
Zu einer ohnehin explosiven sozialpolitischen Situation kamen die palästinensischen Flüchtlinge. Hunderttausende waren in mehreren Wellen in das Land gekommen, das ungefähr halb so groß wie Hessen ist. Vom Libanon nicht gewollt und immer in der Hoffnung, nach Palästina zurückzukehren, lebten die Palästinenser in mehr als einem Dutzend Flüchtlingslagern, verteilt über das ganze Land.
Eines von dreien nahe der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli heißt Badawi. Hier kam es Anfang der Siebzigerjahre zu den ersten Kontakten zwischen den Organisationen. Gastgeber der Konferenz war die Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP, die palästinensische Nachfolgeorganisation der panarabischen Nationalbewegung. Politischer Kopf der Volksfront war der Kinderarzt George Habasch, ein charismatischer Vordenker aus Tagen der Studentenbewegung.
Habasch setzte schon damals auf eine Strategie, die der heutige Palästinenserpräsident Jassir Arafat erst gute 15 Jahre später aufnahm. Die PFLP verstand es, das Palästinaproblem zu internationalisieren – auf ihre Weise. Während Arafat 1986/87 auf die „Kinder der Steine“ und die Intifada setzte und weltweit Mitgefühl entfachte (was schließlich ja auch diplomatischen Erfolg zeitigte), setzte Habasch auf die Jugend der Welt. Die ersten Kontakte Anfang der Siebzigerjahre brachten jene Allianzen hervor, die über einige Jahre zum Albtraum westlicher Geheimdienste und internationaler Fluggesellschaften werden sollte.
Kozo Okamoto, einer der vier japanischen Männer, die heute Asyl suchen, ist der einzige Überlebende eines Terrorkommandos, das im Mai 1972, in Kooperation mit der PFLP, auf dem Flughafen Lod (Ben Gurion) in Tel Aviv ein Massaker ausführte, welches 24 Tote und knapp 80 Verletzte forderte. Okamoto wurde in Israel zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und 14 Jahre später im Zuge eines Gefangenenaustauschs an die PFLP überstellt. Der heute 53-jährige soll in Folge der langen, schweren Haft schwer erkrankt und auf Hilfe angewiesen sein.
Kozo Okamoto gilt Libanesen wie Palästinensern als Held. Im Libanon formierte sich gleich nach der Verhaftung der fünf Rotbrigadisten im Februar 1997 ein Solidaritätskomitee, „The Friends of Kozo Okamoto“, das sowohl von der Progressiven Sozialistischen Partei Libanons wie auch von der proiranischen Hizb‘Allah unterstützt wird. Der Einfluss des Komitees reicht jedenfalls bis ins libanesische Kabinett.
Wo sich Okamoto in den zwölf Jahren bis zu seiner erneuten Verhaftung aufgehalten hat, ist nicht bekannt. Nahe liegt, dass er und seine Freunde unter den Fittichen der PFLP im libanesischen Bekaa und in deren Büros in der syrischen Hauptstadt Damaskus ausharrten. Durchaus mit Billigung des syrischen Regimes war in der Region beispielsweise auch Abdullah Öcalan mit seiner Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) untergekommen. Abgesehen von VIP-Terroristen hielten sich dort über die Jahre jedoch auch junge PFLP-Sympathisanten aus vielen Ländern auf, die sich aus Sympathie und Solidarität der Organisation anschlossen; besonders in der medizinischen Versorgung oder bei der Öffentlichkeitsarbeit. Die PFLP publizierte in besseren Zeiten sowohl arabische wie auch englische Informationshefte. Diese Sympathisanten lebten nicht etwa nur verborgen in den libanesischen Bergen, sondern konnten sich relativ frei in den syrisch kontrollierten Gebieten Libanons bewegen.
Mitte der Neunzigerjahre bemühte sich jedoch die Besatzungs- und Kontrollmacht Syrien, von der schwarzen US-Liste der den internationalen Terror unterstützenden Staaten zu verschwinden. Superterrorist Carlos musste 1994 in den Sudan ausweichen und wurde dort verhaftet. Johannes Weinrich, ein aus Frankfurt am Main stammender Militanter, der als Carlos’ rechte Hand galt und kürzlich in Berlin zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, musste ausreisen und wurde 1995 im jemenitischen Aden verhaftet. Bereits 1993 soll auch die JRA-Gruppe aufgelöst worden sein. Nach Polizeiangaben soll die Gruppe einmal 30 bis 40 aktive Mitglieder gehabt haben. Verhaftet und nach Japan abgeschoben wurden einzelne in den Jahren nach 1993 in Nepal, Rumänien, Peru und den USA.
Okamoto und seine Freunde wurden 1997 verhaftet, in Beirut wegen Dokumentenfälschung und illegaler Einreise angeklagt und zu jeweils drei Jahren Gefängnis verurteilt. Japan bemühte sich umgehend um die Auslieferung. Doch zwischen Libanon und Japan besteht kein entsprechender Vertrag, eine Entscheidung wurde auf das Ende der Haftzeit vertagt.
In Beirut muss nun in diesen Tagen eine Regierungskommission über den Asylantrag der fünf Japaner befinden. Zahlreiche Demonstrationen, eine landesweite Unterschriftensammlung, öffentliche Hungerstreiks und die kollektive Drohung von 150 LibanesInnen, auf ihre Staatsbürgerschaft freiwillig zu verzichten, sollte der Asylantrag negativ beschieden werden, manifestieren die Verbundenheit vieler Libanesen mit den japanischen Freunden.
Die Regierung unterdessen möchte auch nicht auf japanische Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes verzichten und sucht nach einem Ausweg. Zum Beispiel nach einem Drittland, in das die JapanerInnen abgeschoben werden könnten; Griechenland und Zypern sind im Gespräch. Wahrscheinlich verläuft die Suche jedoch erfolglos. Die JapanerInnen müssten dann im Libanon bleiben und mit einer neuen Anklage rechnen.
Darauf scheinen sie sich einzurichten. Kozo Okamoto, Kazuo Tohira und die einzige Frau, Mariko Yamamoto, bislang Shinto-Buddhisten, sind mittlerweile zum Islam übergetreten und haben arabische Namen angenommen. Nur mit der arabischen Sprache, so berichteten Mithäftlinge der vier Männer bei der Hochzeit Adachis, hapere es mächtig. Das scheint der Integration in die Gesellschaft jedoch keinen dramatischen Abbruch zu tun. Eine Beiruter Klatschkolumnistin wusste am Tag nach der spektakulären Hochzeit zu berichten, die ehemalige Rotarmistin Mariko Yamamoto – mit arabischem Namen neuerdings Mariam – sei keineswegs aus Sicherheitsgründen nicht aus dem Frauengefängnis von Baabda herbeigebracht worden, wie es offiziell hieß. Mariko (Mariam) Yamamoto sei vielmehr eifersüchtig und mit der Hochzeit ganz und gar nicht einverstanden. Die Zeit der kleinen Geheimnisse scheint für die fünf ehemaligen Rotarmisten vorbei.
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