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Weißt du noch geht nicht

Kein Bock auf Bios: 23 Autoren aus Ost und West erzählen im „Buch der Unterschiede“, warum die Einheit keine ist

„Einheitsbrei“ trifft es gut. „Wir sind außen ähnlicher, aber innen nicht gleicher geworden“, schreibt Wiete Andrasch, früher Wiesbaden, heute Berlin, im „Buch der Unterschiede“.

Mit diesem meldet sich jetzt eine Generation zu Wort, die beim Fall der Mauer noch keine 20 Jahre alt war. Aufgewachsen in zwei unterschiedlichen Systemen, sind bei ihr die Unterschiede zumindest äußerlich kaum noch sichtbar. Und trotzdem haben die 23 jungen Autoren aus Ost und West Geschichten aufgeschrieben, die vor allem erzählen, warum die Einheit keine ist.

Jana Simon, 1972 in Potsdam geboren und heute Reporterin des Tagesspiegels, erzählt das Scheitern einer Ost-West-Beziehung, die im Ungarnurlaub ihren Anfang nahm und nach der Wende „einfach vorbei war“. Dabei beschreibt die 28-Jährige ihre alte Heimat als trist und langweilig: „Lange vor dem Mauerfall war ich der DDR weggelaufen. Sie hatte es nur nicht bemerkt.“

Und heute? Wenn Jana Simon überlegt, wen sie gern trifft, fällt die Wahl fast ausnahmslos auf alte Ostfreunde. „Ich muss den ganzen Abend nichts erklären. Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, wie lange man jemanden schon kennt. Und meine Ostfreunde kennen ich natürlich länger.“

Das erklärt vieles: „Gruppen wie Familien definieren sich gern über gemeinsame Manipulation der Vergangenheit: sich ausmalen, wie schön alles war und wie viel besser“, wie David Wagner, FAZ- und Buchautor aus Berlin, schreibt. Und weil Ostdeutsche nun mal andere Erfahrungen mit sich herumschleppen als Westdeutsche, klappt es mit dem „Weißt du noch“ eben nicht. Der eine outet den anderen schnell als Anderen. Das ist an sich nicht weiter schlimm, doch genervt scheinen sie im „Buch der Unterschiede“ trotzdem vom ewigen Hin und Her: Falsche Fragen, falsche Antworten, dann böse Blicke, später eisiges Schweigen.

Dabei begehen alle den gleichen Fehler. Man bricht voreilig Kontakte nach anfänglichen Schwierigkeiten wieder ab. Die meisten Autoren haben deshalb keine Freunde von der „anderen Seite“, was alle mit schönen Geschichten aus dem ost- und westdeutschen Alltag erzählen. Die Einheit ist also keine, weil Ossis und Wessis keinen Bock mehr aufs Biografie-Erzählen haben.

Nur einer gibt sich gelassen: „Man muss auch mal einen falschen Satz sagen dürfen, ohne dass dadurch gleich alles vorbei ist. Und man darf nur nicht glauben, dass Ost und West sich einigen werden, ohne darüber zu sprechen“, meint der in Gießen geborene Tagesspiegel-Reporter Christoph Amend

Die schönste Geschichte aber kommt zuletzt. Da erzählt ein 26-jähriger Berliner, wie er sich als Kind mit seiner Schwester stets ums Fernsehprogramm stritt. Sie wollte ZDF und „Bugs Bunny“, er die Sendung „Alles Trick“ im DDR-TV sehen. Das liest sich frei jeglicher Verklärung oder Einordnung und liegt wohl daran, dass der Schreiber Tamer Yigit ein in Berlin-Kreuzberg geborener Türke ist. ANDREAS HERGETH

Jana Simon, Frank Rothe, Wiete Andrasch (Hrsg):„Das Buch der Unterschiede – warum die Einheit keine ist“. Aufbau-Verlag, 236 S., 29,90 DM

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