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Auf den Spuren des Einstein des Sex

Fast nichts erinnert mehr an den Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868–1935), der als Begründer der Schwulenbewegung gilt, und sein Institut für Sexualwissenschaft. An den kommenden Wochenenden begeben sich Stadttouren auf Spurensuche

Unscheinbar steht der graue Neubau schräg gegenüber dem Rathaus Charlottenburg im Regen. Am Haus selbst erinnert nichts an den Mann, der um die Jahrhundertwende hier lebte: an den jüdischen Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld, der als Begründer der deutschen Schwulenbewegung gilt. „Die Besitzer haben sich gegen eine Gedenktafel für einen Schwulen gewehrt“, sagt Horst Rohlfs von der Beratungsstelle Mann-O-Meter.

Gemeinsam mit Brigitta Schilk vom „Kulturellen Begleitservice Compania“ lädt Rohlfs an den kommenden beiden Wochenenden zu Stadtrundgängen und -fahrten auf den Spuren des Sexualreformers und seiner MitstreiterInnen, darunter die Frauenrechtlerin Helene Stöcker. Diese Touren sind Teil der Magnus-Hirschfeld-Woche rund um die Premiere des neuen Rosa-von-Praunheim-Films, mit dem das Leben und Werk des „Einstein des Sex“ ab der kommenden Woche ins Kino kommt.

Die Tour hat den Schöneberger Kiez mit seinen legendären Vergnügungstempeln, in dem sich auch Hirschfeld amüsierte, schon hinter sich. Seine eigene Homosexualität hielt der Sexualforscher sorgsam geheim. „Viele Orte gibt es nicht, die heute noch an Hirschfeld erinnern“, sagt Rohlfs. Einer davon ist in der Charlottenburger Otto-Suhr-Allee 93. Zwischen Bürgersteig und Fahrradweg steht seit fünf Jahren – nach jahrenlangen Streitigkeiten mit den Hausbesitzern – eine Gedenksäule mit dem Konterfei des Wissenschafterlers. Hier hat Hirschfeld von 1896 bis 1910 nicht nur gewohnt und eine Arztpraxis betrieben, hier wurde am 15. Mai 1897 auch das „Wissenschaftlich-humanitäre-Komitee“ (WhK) gegründet, das heute als erste deutsche Schwulenorgansiation gilt. Ziel zahlloser Petitionen und zäher Lobbyarbeit war vor allem die Abschaffung des Paragrafen 175, nach dem Sex zwischen Männern mit Gefängnis bestraft wurde. „Abgeschafft wurde der Paragraf erst Mitte der 90er-Jahre“, sagt Rohlfs.

In Hirschfelds Wohnung in der Berliner Straße, wie die Otto-Suhr-Allee damals hieß, enstanden die Pläne für das Institut für Sexualwissenschaft, das 1919 in der Straße „In den Zelten“ in Tiergarten seine Arbeit aufnahm. Hier zwischen Kongresshalle und Glockenturm, der nächsten Station der Hirschfeld-Tour, muss es gestanden haben: ein beeindruckendes Gebäude mit 115 Räumen. Im ersten Stock wohnte der Hausherr, im zweiten waren Röntgenapparate und Operationsräume untergebracht. Dazu kam die Bibliothek mit der damals größten sexualwissenschaftlichen Sammlung der Welt und das Sexualmuseum, wo es Stöckelschuhe, Bildermappen über Bordelle und die unterschiedlichsten Selbstbefriedigungsapparate zu sehen gab. Hirschfelds Institut beherbergte auch die erste Sexualberatungsstelle der Weimarer Republik, in der sich vor allem junge Frauen über Verhütung informierten – und auch über Abtreibungen, auf die nach dem Paragraf 218 Gefängnisstrafe stand. 1933 machten die Nazis Schluss mit alledem, sie ließen Studenten das Institut plündern und verbrannten auch die Schriften Hirschfelds auf dem Opernplatz. Hirschfeld selbst befand sich zu jenem Zeitpunkt auf einer Weltreise, von der er nicht mehr nach Berlin zurückkehrte. Er starb 1935 an seinem 67. Geburtstag in Nizza, das Institut wurde 1943 bei Bombenangriffen zerstört.

An das Institut erinnert heute nichts mehr Die Forderung von Schwulenorganisationen, den Platz vor der Kongresshalle nach Hirschfeld zu benennen, wurde nicht umgesetzt. Nur ein kleiner Fußgängersteg über die Spree trägt heute den Namen des Sexualwissenschaftlers.SABINE AM ORDE

Infos zur Hirschfeld-Tour unter Tel.: 44 04 91 27 und E-Mail: info@spritztour.de

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