: Drastische Rechnung
Zwangsarbeiter-Entschädigung: Deutsche Unternehmen verlangen, dass Ansprüche gegen Versicherungen vom Fonds abgedeckt werden
aus Berlin CHRISTIAN SEMLER
„Jeden Monat stirbt ein Prozent der Zwangsarbeiter.“ – Graf Lambsdorff, Moderator der deutschen Seite bei den Verhandlungen zur Entschädigung der Sklaven- und Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg, griff auf seiner gestrigen Pressekonferenz zu dieser drastischen Rechnung, um die Dringlichkeit einer Einigung zu unterstreichen.
Aber wie die nachfolgende Konferenz des Verhandlungsführers der deutschen Wirtschaft, Manfred Gentz, klarmachte, liegen die Hindernisse nicht nur im Streit der osteuropäischen mit den jüdischen Opfervertretern um ihre Anteile am 10-Milliarden-Angebot.
Die deutsche Unternehmensseite besteht darauf, mögliche Ansprüche gegen Versicherungen im Rahmen des Stiftungsfonds abzugelten. Es dreht sich hierbei um individuelle Forderungen aus Bankguthaben und Versicherungspolicen, die die Opfer der NS-Okkupation in Europa erlitten. Wie hoch solche Ansprüche sein könnten, entzieht sich nicht nur der Kenntnis von Manfred Gentz. Im Vorschlag der deutschen Seite waren für Vermögensschäden im Stiftungsfonds insgesamt 1 Milliarde Mark vorgesehen. Was nicht unter individuelle Schäden fiele, sollte einem humanitären Fonds zugeführt und der Jewish Claims Conference übergeben werden. Eine Regelung, gegen die die osteuropäischen Opferverbände und Regierungen Sturm laufen.
Gestern machte Gentz klar, dass es eine Einigung nur geben werde, wenn die Ansprüche aus Versicherungen in den Stiftungsfonds aufgenommen würden. Bislang hatte die multilaterale „Eagleburger-Kommission“ lang und erfolglos über den Versicherungskomplex verhandelt. Es heißt jetzt, dass der amerikanische Politiker und Bankenspezialist Eagleburger im Prinzip damit einverstanden sei, die deutschen Versicherungsunternehmen, bis jetzt nur vertreten durch die „Allianz“, aus seinem Verhandlungsprozess Richtung Stiftungsinitiative zu entlassen. Wenig Spielraum ließ Gentz hinsichtlich der Dotierung des Zukunftsfonds erkennen. Seiner Meinung nach sollte er mit rund 800 Millionen Mark dotiert werden. Schließlich sei eine große Zahl von Unternehmen, die keine Zwangsarbeiter beschäftigt hätten, gerade wegen dieses Zukunftsfonds der Stiftungsinitiative beigetreten. Bis jetzt forderten vor allem die osteuropäischen Opfervertreter, den Fonds zugunsten direkter Auszahlungen an die überlebenden Zwangsarbeiter zu beschneiden.
Lambsdorff wiederum legte sich auf die Bedingung, Ansprüche gegen Versicherungen durch die Stiftung abzudecken, nicht eindeutig fest. Gestern ließ er durchblicken, notfalls würden Eizenstat und er sich auf ein Verhandlungsergebnis einigen, „und das war’s dann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen