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Reiseweltmeister Europa

Nach dem Motto „Immer kürzer, immer weiter“ wächst die Zahl der Fernreisen und die Rendite europäischer Touristik-konzerne. Auf der Strecke bleiben Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Um gegen exotische Billigkonkurrenten halten zu können, setzen die Manager europäischer Urlaubsgebiete mehr und mehr auf künstliche Reisewelten

von MANFRED PILS

Die Internationale Tourismusbörse in Berlin (ITB) öffnet wieder ihre Pforten, und Scharen von Besuchern werden sich wie jedes Jahr in den Messehallen drängen. Auf der Jagd nach dem ultimativen Reiseschnäppchen, oder um sich schlicht beim exotischen Tamtam, welches an vielen Ständen aufgeboten wird, zu unterhalten. Das internationale Reisegeschäft boomt wie eh und je.

Man muss kein Hellseher sein, um schon vorweg ein Fazit über den diesjährigen Urlaubstrend zu ziehen: je weiter, je exotischer und je südlicher, desto besser. Strand und Sonne stehen ungebrochen an der Spitze der Urlaubssehnsüchte in den nördlichen Industriestaaten. Europa, die Wiege des Tourismus, ist natürlich noch immer Urlaubsweltmeister und wird es auch in den nächsten Jahren bleiben. Vor allem deshalb, weil sich mit den Beitrittskandidaten der Europäischen Union im Osten nicht nur neue Destinationen entwickeln, sondern auch Millionen neuer Touristen auf den Markt treten werden.

Also alles in Butter mit dem Tourismus? Aus der Sicht der Bilanzen der großen Tourismusunternehmen sicherlich. Die Global Player im Urlaubsgeschäft sind durchwegs in Europa zu Hause. Mit der ständig steigenden Zahl der Vertragsbetten und Ferientransporte nehmen von Jahr zu Jahr die Umsatzmilliarden zu. Weil sie das internationale Geschäft weitgehend bestimmen, lassen die zahlreichen Fernreisen in außereuropäische Destinationen bei den hiesigen Reiseveranstaltern und Fluglinien ständig die Kasse klingeln.

Aus der Sicht der Nachhaltigkeit sieht die Tourismuswelt etwas differenzierter aus. Der ungebrochene Trend zu mehreren kürzeren Urlauben im Jahr bei gleichzeitiger Zunahme der Entfernungen führt zu einem überproportionalen Anstieg der Belastungen durch den Tourismusverkehr. Drei Viertel des Flugverkehrs und etwa die Hälfte des Pkw-Verkehrs in Europa gehen bereits auf das Konto des Tourismus. Der Marktanteil umweltfreundlicher Verkehrsmittel wie etwa der Bahn schwindet von Jahr zu Jahr. Ein Problem für das Klima, weil der Verkehr – und besonders Flugverkehr – das Treibhausklima anheizt. Aber auch ein gravierendes Problem für die Gesundheit und die Lebensqualität der Bevölkerung entlang der großen Reiserouten. Die zunehmenden Proteste von Antiverkehrsinitiativen in den Alpen oder in den Pyrenäen sind inzwischen unüberhörbar.

Die Verdichtungstendenzen im Tourismus haben auch ihre Schattenseiten in den beliebtesten Urlaubsregionen. Es ist unverkennbar, dass in manchen Alpen- und Küstenregionen Europas die Tragfähigkeit der Landschaft und die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung angesichts wuchernder Hotelburgen und Parkplatzlandschaften längst überschritten wurden. Dazu kommt das Überhandnehmen von Saisoniermodellen mit nur kurzfristig beschäftigten Billigarbeitskräften aus anderen Ländern. Menschenwürde und soziale Sicherheit werden einer niedrigen Preisgestaltung geopfert.Dass so mancher Tourist da lieber den billigen Luxus der Dritten Welt vorzieht, liegt auf der Hand. Die Antwort der europäischen Tourismuswirtschaft auf diesen Trend in die Ferne ist so falsch wie gefährlich. Themenparks und künstliche Erlebniswelten werden an allen Ecken geplant, gebaut und zu „Kathedralen der Freizeit“ hochstilisiert. Disneyworld in Orlando und Paris gelten als Vorlage für eine erfolgreiche Tourismuspolitik. Schließlich hat der überdimensionale Wurstelprater bei der Seinemetropole jährlich schon mehr Besucher als der Louvre. Aber wie wäre es, wenn jedes Land, jede Hauptstadt ihr Disneyland hätte?

Glaubt man denn wirklich, dass Touristen quer über den Kontinent reisen, um in einem Oceanpark in Bremen die Illusion von Südsee zu genießen oder im Burger's Bush im niederländischen Arnheim einen künstlichem Regenwald unterm Glassturz? Europas Stärke liegt doch in der echten Kulturlandschaft, sowohl für uns Europäer als auch für Millionen Besucher aus Übersee.

Die kurzsichtige McDonaldisierung des europäischen Tourismus schafft letztendlich nur virtuelle Billigvergnügungsangebote für den Tagestourismus, und wird nicht nur zu einem schweren Imageschaden der Tourismusregionen, sondern auch zu weiteren Verkehrsbelastungen und Akzeptanzproblemen beitragen.

Die Ignoranz der europäischen Länder in dieser Frage ist frappant. Zählt doch der Tourismus zu den Wachstumsmärkten und Arbeitsplatzreservoirs. Immerhin arbeitet heute schon einer von neun Europäern im oder für den Tourismus. Neben Telekommunikation und Neuen Medien gehört der Tourismus zu den Leitindustrien der Zukunft. Tourismuspolitik in Europa beschränkt sich jedoch ausschließlich auf die konzeptlose Förderung von „Leitbetrieben“ – und als Feigenblatt werden hunderte „Gütesiegel“ entwickelt und angepriesen. Was helfen jedoch die „Grünen Koffer“ und „Blauen Flaggen“, wenn die Tourismusregionen zu Megastädten werden und im Verkehr ersticken?

Europa braucht daher dringend eine Nachhaltigkeitsstrategie für den Tourismus – denn der Tourismus ist auf eine nachhaltige Entwicklung von Kultur, Landschaft und Lebensqualität angewiesen. Dazu müssen die wirklichen Probleme angegangen werden, um dem zerstörenden Wildwuchs Einhalt zu gebieten: in der Verkehrs-, Raumordnungs- und in der Regionalpolitik. Dies wäre auch eine wichtiger Beitrag zur nächsten Weltumwelt- und Entwicklungskonferenz „Rio + 10“ im Jahr 2002.

Nur mit einer gemeinsamen europäischen Strategie kann gewährleistet werden, dass der europäische Tourismus auch in Zukunft einen Beitrag zur Erhaltung von Natur und Landschaft leistet, die Lebensqualität der Menschen fördert und letztendlich auch konkurrenzfähig bleibt. Es kann nicht im Interesse Europas liegen, wenn sich Tourismus weiterhin zu Tode wächst und seine Touristen in die Ferne treibt.

MANFRED PILS ist Generalsekretär der Naturfreunde Internationale in Wien

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