: Was den Papiertiger in Flammen setzte
■ Seit letzten Dezember bemüht sich die Initiative „das weite suchen“, durch kulturelle Veranstaltungen Boden für die Freilassung der letzten RAF-Gefangenen zu schaffen
Das Weite suchen bedeutet, sich auf den Weg zu machen, abzuhauen als erstes aus der erdrückenden Enge der eigenen Selbstbeschränkung, in der eine Veränderung der Verhältnisse nicht mal mehr denkbar ist.
das weite suchen heißt eine Initiative „für die Freilassung der letzten sechs Gefangenen aus der RAF. Bingungslos! Basta!“ Nichts scheint zur Zeit weiter entfernt als die Durchsetzung dieser Forderung. Trotzdem legten die Hamburger InitiatorInnen, Filmemacherin Margit Czenki, Teile des ehemaligen Wohlfahrtsausschusses und die Gruppe Lotta los. das weite suchen heißt, sich auf die Suche zu machen, zu untersuchen, zu diskutieren. Was hat den Papiertiger damals in Flammen gesetzt? Die RAF, das waren nicht sechs gegen 60 Millionen, das waren Abermillionen in aller Welt, die aufgebrochen sind, das Weite zu suchen. Und auch in deutschen Landen gab es weit mehr als nur den Diskurs über das Projekt Befreiung, und zwar in weiten Teilen der Gesellschaft.
Die heutige gesellschaftliche Situation, aber vor allem auch das Scheitern der revolutionären Linken in der BRD, lassen nicht auf einen schnellen Erfolg hoffen. Allerdings ist nun möglich, was zumindest bis zur faktischen (Selbst-) Entwaffung der RAF nicht denkbar war. Die Frage der bewaffneten Aktion im Kampf um Befreiung ist nur noch eine therotische unter anderen und keine praktische mehr. Das Weite suchen verlässt die Enge, in der fast alle bisherigen Solidaritätsaktionen für die RAF und ihre Gefangenen stattgefunden haben und ermöglicht den Blick auf deren Geschichte jenseits der Gretchenfrage nach dem eigenen Verhältnis zur revolutionären Gewalt.
Die Initiative setzt auf gänzlich andere Formen als die in diesem Zusammenhang bisher üblichen: Politisch-kulturelle Veranstaltungen werden angeboten, Lesungen und Filmreihen, die alle verschiedenste Aspekte der radikalen Linken beleuchten. Für Ergänzungen und Kommentare sind stets FilmemacherInnen, AutorInnen, KritikerInnen und Frauen aus der RAF zu Gast. Die BesucherInnen sind eingeladen zu reden, worüber sie sich „schon immer Klarheit verschaffen wollten“, ohne sich zum Beispiel gleich im Anschluss an den „Vortrag“ damit beschäftigen zu müssen, wie jetzt konkrete Aktionen aussehen könnten. Die Initiative hat so mit ihren Tabubrüchen im linksradikalen Kontext hinsichtlich von Form und Gestaltung einen bisher unbekannten Raum an Möglichkeiten zur Diskussion eröffnet. Aber nicht nur sie hat sich befreit vom Diktat der so und nicht anders zu führenden, politischen Auseinandersetzung um bewaffneten Kampf und RAF, indem sie den Diskurs über das Projekt Befreiung im und übers kulturelle Milieu begann.
Das Projekt RAF scheint gesellschaftsfähig zu werden und zwar als „Kulturgut“. Reißerische Inzenierungen wie das Todesspiel von Breloer, das die Geschichte des bewaffneten Kampfes verfälscht und reduziert, reihen sich bruchlos ein in die TV-Romane des Fernsehalltags und sind damit ohnehin indiskutabel.
Diffiziler wird die Angelegenheit zum Beispiel bei dem Hörspiel: schreibt auf. unsere haut – PROJEKT RAF, das die beiden Regisseure Paul Plamper und Andreas Weiser der Initiative das Weite suchen zur Verfügung gestellt haben. Das Stück besteht aus einer Auswahl von Kassibern, in denen die RAF-Gefangenen in den Jahren '73 bis '77 im Knast diskutierten. Die beiden Künstler haben nichts hinzugedichtet und so ist ihre Arbeit auch nicht denunzierend. Sie waren fasziniert von den Texten, geschrieben von Menschen, die bereit waren, ihr Leben zu geben für das große Ziel. Das Hörspiel greift, emotional wie im Kopf. Das war auch das Ziel der beiden Theatermacher, die einen gänzlich neuen Blick auf die Texte der RAF warfen. Allerdings ist es gerade dieses neue Agieren mit ästhetischen Mitteln, das eben nicht nur Möglichkeiten, sondern auch Fallstricke mit sich bringt. War es bei den Aufführungen in Hamburg noch möglich, mit zwei der Autorinnen der Briefe zu diskutieren, ist nun der NDR auf das Hörspiel aufmerksam geworden. Einen politischen Effekt hatte das bisher: Im Rahmen einer FSK-Diskussion konnte das Hörspiel nicht mehr verwendet werden. Tina Petersen
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