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Das Lied der Arbeit

Keine Erlösung in Sicht: Robert Kurz stellte im Theater Unterm Dach sein „Schwarzbuch des Kapitalismus“ vor

Als vor einigen Jahren in Frankreich ehemalige Kommunisten ihr „Schwarzbuch des Kommunismus“ herausgaben, war die Linke wie vor den Kopf gestoßen. Die Herausgeber behaupteten, dass die Länder, in denen das sozialistische Experiment gewagt wurde, zu Spielflächen für entsetzliche Verbrechen wurden, ja sie scheuten nicht einmal den Vergleich mit den Nazis.

Alle, deren Identität sich aus einer sozialistischen, kommunistischen oder sonst wie linken Politisierung herleiten ließ, waren von dem Buch betroffen und nutzten es, um von ihren früheren Verfehlungen abschwören zu können. Oder sie verrissen das Buch erregt.

Zugleich aber entwickelte sich bei einigen eine Sehnsucht danach, dem eigentlichen Hauptfeind, dem Kapitalismus, nachzuweisen, dass er doch „viel böser“ sei als alle realsozialistischen Spießerutopien. Als nun Anfang dieses Jahres Robert Kurz sein „Schwarzbuch des Kapitalismus“ veröffentlichte, erhofften sich einige nun ein Gegenbuch, das die Welt wieder heil macht. Aber Kurz verfällt nicht der zynischen Aufrechnerei der Toten und hat auch die Fallen gemieden, eine simple Liste der Bösartigkeiten zu erstellen, blindwütig zu moralisieren oder gar einen Systemvergleich anhand des Schlechten zu wagen.

Was also will das „Schwarzbuch des Kapitalismus“? Als Kurz am Donnerstag aus seinem Werk vortrug, war das Theater Unterm Dach den Erwartungen entsprechend gut gefüllt. Fast sah es so aus, als ob Jünger um ihren Meister herum säßen: Nachdem bereits alle Stühle vergeben waren, gruppierte man sich im Kreis um Kurz, der die Fülle des Saales sichtlich genoss. Er begann tatsächlich damit, in Onkelmanier die Geschichte des Kapitalismus nachzuerzählen. Von Beispielen wie Smith, Hobbes bis hin zu Kant beschrieb Kurz die merkwürdig enge Sicht auf den Begriff Freiheit, der lediglich die Wahl zwischen Arbeitsplätzen, Nützlichkeiten etc. zuließ. Von Verweigerung sprachen diese Philosophen und Ökonomen jedoch nicht. So wollte Kurz belegen, dass die Grundlage das Kapitalismus, die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, allmählich sogar von ihren Opfern als natürlich gegeben vorausgesetzt werde: Alle befinden sich im Konkurrenzkampf. Und das sogar gerne, selbst die Kommunisten sangen begeistert das Lied der Arbeit. Dass unfreiwillig Arbeitenmüssen an sich bereits eine ungeheure Zumutung sei, konnten die sich im Widerspruch und in Konkurrenz zum Kapitalismus wähnenden sozialistischen Staaten nicht begreifen. Sie blieben im Wertsystem gefangen. Kurz nannte für die Pervertierung des sozialen Gedankens ein Beispiel: „Die DDR druckte das Konterfei des Fetischverächters Marx auf einen Hundertmarkschein und glaubte tatsächlich, sie hätte ihm einen Gefallen getan.“

Spätestens bei der Kritik der linken Geschichte mochte ihm ein Großteil des Publikums nicht mehr folgen. Man ließ sich auf seine Gedankengänge nicht ein, betonte, wie eine Frau im roten Schal, die schöne Arbeit in der schönen DDR oder gab den Medien die Schuld an allem.

Eine abstrakte Betrachtung zur Misere der Linken war also für große Teile des Publikums zu hoch. Es ging ums Hier und Damals: Man warf Kurz vor, dass er nicht einen Ausweg weise, sondern nur eine Krise feststelle. Diese Diskussion um eine fehlende Führung gab der berechtigten Kritik an Kurz’ oft vereinfachendem und zu sehr in Behauptungen sich genügendem Vortrag keine Chance. Am kommenden Donnerstag diskutiert Kurz im Audimax der HU mit Michael Heinrich und Thomas Kuczynski. Dort wird, was an diesem Donnerstag verschenkt wurde, vielleicht möglich: eine Kritik der Verhältnisse, die die Grundlage aller Aktionen sein muss.

JÖRG SUNDERMEIER

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