: Radio in Feldgrün
„100 Mann und ein Befehl“ – der Soldatensender Radio Andernach dient als „Brücke in die Heimat“ und sendet die beste Musik in ganz Sarajevo
von JAN ROSENKRANZ
„Hier ist Stefanie. Mein Gruß geht an den Obergefreiten Matthias Schmitt im Feldlager Rajlovac. Und mein Musikwunsch ist ‚Sag mal, weinst Du‘ von Echt“, hat sie dem Anrufbeantworter von Radio Andernach gesagt. Nüchterner Wortlaut kann traurig klingen. Traurig wie die einsetzenden Streicher und die klagende Stimme des Sängers: „Unsere Liebe ist am Boden, läuft langsam aus ...“ Der Bundeswehrsender Radio Andernach sendet Wünsche und Grüße nach Bosnien und in das Kosovo. Auch traurige. Sein Auftrag: „Truppenbetreuung deutscher Soldaten im ehemaligen Jugoslawien.“
Sarajevo im Februar. Die Fahrt vom Zentrum in die Außenbezirke ist holprig. Ringsum Grau in allen Schattierungen. Graue Fassaden, graue Menschen, graue Wälle schmutzigen Schnees entlang der „Sniper Alley“, wo einst Heckenschützen lauerten. Im Vorort Rajlovac biegen die Jeeps von der Straße ab und schaukeln längs der Bahnlinie, die von Stöcken mit rote Bändchen gesäumt wird. Vorsicht: Minen.
Hinter dem Bahnübergang Sandsäcke, dazwischen eine Einfahrt: Das SFOR-Feldlager Rajlovac. Hier wohnen 1.800 deutsche Soldaten. Hierhin geht Stefanies Gruß. In das Feldlager, wo ihr Liebster oder Ex-Liebster seinen Dienst verrichtet. „Die Soldaten arbeiten hier mindestens zwölf Stunden täglich, oft mehr“, beteuert Presseoffizier Willi Hein.
Am Ende der Lagerallee ragt ein Sendemast in den grauen Himmel. Darunter, wo sich Container wie zu einer Wagenburg drängen, befindet sich die Außenstelle von Radio Andernach. Ein Container Redaktion, ein Container Studio und im dritten der Sender. Man trägt Tarngrün. In einer Ecke thront auf einem Bundeswehr-Rucksack ein Helm.
Im Container mit der Sendeanlage arbeitet kistenweise Technik. Gerade eineinhalb Meter Raum blieben unverstellt. Eineinhalb Meter, die Stabsfeldwebel Norbert Brinkmann wie ein Zootiger abschreitet. Er ist der lokale Chefredakteur und befehligt zwei Redakteure und einen Techniker. Die Nachrichten laufen, alles läuft, Brinkmann lächelt, denn der Neue kann es: „... das Wetter für den Raum Rajlovac, Sarajevo: Heute Nacht wird’s schattig. Das waren die Nachrichten. In der Redaktion Hauptmann Rainer Heusch.“
Die Schlagzeilen kamen per Fax aus der fernen Heimatredaktion. Dort, wo auch der dpa-Ticker steht, werden sie unter der Woche vorproduziert und via Satelliten-Standleitung nach Rajlovac gesendet. Den gleichen Weg nehmen „Presseschau“ und „Länder-Report“, übernommen vom Deutschlandradio.
Radio Andernach will in erster Linie unterhalten. Dabei dient es vor allem als „Brücke in die Heimat“, erklärt Brinkmann. Was so einfach nicht ist, denn gerade am Wochenende, wenn durch die Kasernen in Deutschland nur der Wind fegt, müssen sie das Programm fast allein bestreiten. Den „Morgenwecker“ hat der Chef heute selbst moderiert. Wie die anderen Redakteure wurde er in Andernach zum Rundfunkredakteur ausgebildet – von Praktikern und streng journalistisch. Dennoch bleibt die Frage, ob Soldaten nicht zwangsläufig im Spagat zwischen kritischer Berichterstattung und Befehlsgehorsam landen. „Kritik ist erlaubt, in dem Maße, wie einem hier Kritik zusteht“, sagt der Chef.
Seit Ende Januar sendet Radio Andernach eine Soldatenhitparade – die Rajlo-Charts. Stimmzettel liegen aus, auch in den elf Kneipen, „Betreuungseinrichtungen“ genannt. Rajk Reinicke wertet die Zettel aus, ermittelt die Hits und moderiert die Sendung. Eigentlich ist Krankenpfleger im Lazarett. Jetzt hockt er, eingesperrt auf zwei Quadratmetern, in der mit Schaumstoff verkleideten „Dose“, die früher als Fernmeldekabine diente. Er stellt seinen Studiogast vor. Der bedankt sich brav bei seinen „Kameraden“ von den Feldjägern, die derweil seinen Dienst übernommen haben. Zwei Grüngetarnte kämpfen ums Mikro – einer ist sogar bewaffnet: Im Halfter steckt eine Pistole. Denn Dienst ist praktisch immer.
Während „Flieger, grüß mir die Sonne“ dudelt, erläutert Brinkmann das Besondere an Radio Andernach. „Kein anderer Sender bedient eine so breite Altersstruktur. Wir senden für Leute von 19 bis 90.“ Einzige Gemeinsamkeit: Die meisten sind Soldaten, das Gros unter 30. Auch die Auswahl der Musik muss sich danach richten. Läuft zweimal Schräges nacheinander, klingelt das Telefon. Ältere Offiziere mögen kein Techno. Es kommt viel Feedback aus dem Lager, meist Positives, sagt Brinkmann. „Man kennt uns hier.“ Hauptgefreiter Redakteur Müller nickt.„Wenn wir einen Wunschtitel spielen, gibt’s Lob in der Kantine: Super. Ihr habt mich zum glücklichsten Menschen in Bosnien gemacht! Dann ist man selbst glücklich.“
Den Frieden in Bosnien sichern, das ist Auftrag der SFOR. Radio Andernach hilft dabei.
„Wir machen im Grunde Moderations- und Radioarbeit wie überall“, sagt Brinkmann. Normales Radio, das auch gesendet wird – im und um das Lager auf 97,7 MHz. Auch in Sarajevo gibt es Hörer. Wegen der Nachrichten und der guten Musik, glaubt die Redaktion. „Auch Flüchtlinge, die in Deutschland waren, hören uns, um ihr Deutsch zu verbessern oder aufzufrischen“, weiß Brinkmann, denn sie rufen an, wenn der Sender einmal ausfällt. Doch anders als bei den britischen oder amerikanischen Militärsendern sind einheimische Hörer in Bosnien unbeabsichtigter Nebeneffekt. Radio Andernachs einzige Zielgruppe sind die deutschen Soldaten.
Das Einmaleins des Radiomachens: Wer Hörer an das Programm binden will, bezieht sie ein. Neben den Rajlo-Charts dürfen deshalb jeden Abend zwischen sieben und acht Uhr „Kameraden“ das Mikrofon übernehmen, eigene Musik spielen, Pausen füllen – eine Art Offener Kanal, eine weitere „Betreuungseinrichtung“ für Soldaten. Nur antreten müssen sie auch beim Radio. Pünklich. Oder absagen. Rechtzeitig. Andernfalls droht Brinkmann mit einer Stunde Chormusik von Gotthilf Fischer, als „radiopädagogische Maßnahme“. Um dieser kollektiven Strafe zu entgehen, springen notfalls seine Redakteure ein.
Die Rajlo-Charts neigen sich gen Ende. Reinicke moderiert Platz eins an. Unangefochten, wie in der Vorwoche, Freddy Quinn: „Irgendwo im fernen Land / ziehen wir durch Stein und Sand (...) 100 Mann und ein Befehl / und ein Weg, den keiner will.“
Was hier keiner will, nicht einmal wollen darf, ist rechtsradikale Musik, auch keine „mit zu viel Sex“. Verbale Aussätzer sind ebenso unerwünscht und „würden zum sofortigen Verlassen des Einsatzlandes führen“, erklärt der Chef. Zur Sicherheit kontrolliert er jede Moderation – meist vor der Sendung.
Es folgt, wie jeden Abend von acht bis zehn, die Grußwunschsendung „Grunsch“. Montag bis Freitag kommt sie aus der Heimat, am Wochenende live aus dem Feldlager, dann grüßen Soldaten Soldaten. Nur eins bleibt gleich, unabdingbar, unerbittlich. Um 21.56 Uhr herrscht Stille im Lager. Dann erklingt „Lili Marleen“ – „Vor der Kaserne, bei dem großem Tore / stand eine Laterne...“ – militärischer Kult, seit der Soldatensender Belgrad den Song jeden Abend als Schlussmusik spielte. Das war 1941.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen