: Betr.: BRAUCHT DEUTSCHLAND DIE RED GREEN CARD?
Der heutige Fachkräftemangel in der IT-Branche ist Folge des rasanten technologischen Fortschritts, der für die Unternehmen in dieser Dimension nicht planbar war. Damit die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt, ist eine Doppelstrategie nötig: in Aus- und Weiterbildung mehr als bislang investieren und kurzfristig ausländische Computerspezialisten ins Land holen. Durch sie entstehen zudem hunderttausende neuer Jobs – schreibt taz-Autor DIETER HUNDT.
Seit der Ankündigung des Bundeskanzlers auf der Cebit, kurzfristig 30.000 ausländischen IT-Spezialisten den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern, hält in Deutschland eine heftige, teils emotionale Diskussion über diesen Vorschlag an.
In der Tat scheint es paradox, dass trotz 4,3 Millionen Arbeitslosen zusätzliche Arbeitskräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt strömen sollen. Wäre es nicht besser, zunächst die Arbeitslosen unseres Landes in Beschäftigung zu bringen? Unterschwellig, zum Teil aber auch ganz offen sind für manchen Gewerkschafter und Politiker die Schuldigen schnell ausgemacht: Die Wirtschaft werde ihrer Verantwortung nicht gerecht, in ausreichendem Maß Nachwuchs auszubilden.
Alle Argumente gegen die von der Wirtschaft seit langem formulierten und von der Politik nun endlich aufgegriffenen Forderungen nach einem erleichterten Zugang für ausländische Spezialisten im IT-Bereich und auch anderen Branchen gehen aber an der Realität vorbei. Fakt ist, dass es in der IT-Branche einen eklatanten Fachkräftemangel als Folge eines weltweit rasanten technologischen Fortschritts und eines atemberaubenden Wachstums des EDV- und Kommunikationssektors gibt. In dieser Dimension war der heutige Mangel nicht planbar und für die meisten Unternehmen überraschend.
Green Card? Vorerst alternativlos
Deshalb bestehen für die Unternehmen nicht nur in Deutschland personelle Engpässe, die trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht mit heimischen Kräften abzudecken sind. Auch hierzulande bleiben offene Stellen unbesetzt mit der Folge, dass das Potenzial für zusätzliches Wachstum und Arbeitsplätze nicht genutzt werden kann. Dass unter den Arbeitslosen die benötigten Fachleute nicht zu finden sind, ist die Erfahrung tausender kleiner, mittlerer und großer Unternehmen vor allem der IT-Branche. Um die vorhanden Kräfte hat ein heftiger Wettbewerb eingesetzt.
Wenn deutsche Unternehmen zur Sicherung ihrer Wettbewerbsposition Spezialisten aus Mittel- und Osteuropa oder Asien anwerben wollen, müssen sie zu Experten in der ausländerrechtlichen Bürokratie werden. Ändert sich daran nichts, sind die Unternehmen geradezu gezwungen, Stück für Stück Entwicklung und Produktion dorthin zu verlagern, wo geeignete Arbeitskräfte zu finden sind.
Der von Bundeskanzler Schröder vorgeschlagene Weg, vorübergehend den Zuzug ausländischer IT-Kräfte zu erleichtern, ist vorerst ohne aussichtsreiche Alternative. Parallel dazu ist es erforderlich, die gefragten Qualifikationen hier aufzubauen, und zwar schnellstmöglich. Der größte Engpass besteht bei Arbeitskräften mit Hochschul- oder Fachhochschulausbildung. Schon heute ist absehbar, dass in den nächsten Jahren die Zahl der Absolventen mit dem Bedarf nicht Schritt halten wird.
Ausländische Experten verdrängen derzeit keine deutschen Arbeitskräfte. Im Gegenteil: Sie sorgen dafür, dass der Fortschritt in einem Schlüsselbereich einer zukunftsfähigen Wirtschaft nicht stagniert, dass vorhandene Arbeitsplätze nicht verloren gehen und dass im Umfeld dieser hoch qualifizierten Fachkräfte hunderttausende neuer Jobs entstehen. Die Notwendigkeit für die deutsche Wirtschaft, hierzulande die Aus- und Weiterbildung zu forcieren, wird davon nicht tangiert. Die deutsche Wirtschaft setzt dies mit großem Engagement um. Allein 1999 hat sie die Zahl der Ausbildungsplätze in IT-Berufen von 14.000 auf 25.000 fast verdoppelt. Im Jahre 2000 sollen es 40.000 werden.
Wenn wir nicht mehr in eine bessere Bildungspolitik investieren, werden wir bald einen hohen Preis bezahlen müssen. Es kann nicht sein, dass – wie in mancher deutschen Uni der Fall – nach einem Semester die Hälfte der Informatikstudenten wegen überfüllter Hörsäle und ausfallender Vorlesungen wieder „einpackt“, obwohl IT-Nachwuchs händeringend gesucht wird. Es wäre eine Kapitulation, wenn weiterhin die besten deutschen Studenten ins Ausland gingen, um dort im High-Tech-Bereich freier und besser zu forschen, und wir umgekehrt auf ausländische Spezialisten angewiesen blieben.
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