: Wie wird Rot-Grün ökologisch?
Es hat also nicht so geklappt mit der ökologischen Wende. Aber nicht mutlos werden, liebe Regierung, es besteht ja Hoffnung auf Besserung!
Mit dem rot-grünen Regierungswechsel war die optimistische Vorstellung verbunden, der Umweltschutz bekäme nun endlich Fürsprecher auf höchster Ebene. Doch das war bislang nicht der Fall, urteilen nun, ganz offiziell, auch die dafür zuständigen Experten, nämlich der „Rat von Sachverständigen der Bundesregierung für Umweltfragen“, auch „Umweltrat“ genannt. Den Eindruck, den Umweltverbände und selbst manch Umweltpolitiker der Regierungsfraktion bereits beschlich, vertritt nun auch eben dieser Umweltrat: Er zeigte sich gestern bei der Vorstellung seines Jahresgutachtens 2000 wenig beeindruckt von der bisher geleisteten rot-grünen Regierungsarbeit in Fragen der Umweltpolitik .
Wie also könnte Rot-Grün also umweltfreundlicher werden?
1. Auf die eigenen Experten hören: Die Bundesregierung beschäftigt eine Reihe von Beratergremien in Umweltfragen. Das hochrangigste ist ohne Zweifel der Umweltrat, allesamt Professoren. Ihr guter Rat ist also teuer. Sie drängen zum Beispiel seit Jahren auf eine effektive Ökosteuer und auf eine nationale Umweltstrategie. Doch die Kohl-Regierung hat nur selten hingehört. Rot-Grün könnte das nun besser machen.
2. Nicht nur über Atom und Ökosteuer reden: Ein Jahr lang hat Rot-Grün es geschafft, mit diesen zwei Themen alle anderen Umweltfragen in den Hintergrund zu drängen, kritisiert der Umweltrat. Und wenn man sich schon auf zwei Themen konzentriert, sollte man es wenigstens richtig anstellen.
3. Die Ökosteuer zielgenauer machen: Zwar weise die existierende Ökosteuer in die „richtige Richtung“, so der Umweltrat, sie sei aber „falsch ausgestaltet“. Der Umweltrat hätte lieber eine Steuer auf den Ausstoß vom Treibhausgas Kohlendioxid erlassen statt auf den Verbrauch von Energie. Schließlich tragen die Energiequellen ganz unterschiedlich zum Treibhauseffekt bei. So werden derzeit Benzin und Diesel überproportional belastet, die Kohle dagegen überhaupt nicht. Das zwinge die Bundesregierung dazu, mit einer Unzahl von Extraprogrammen diese Fehlsteuerung auszugleichen. Doch die Ökosteuer könne leicht verbessert werden. Der Umweltrat schlägt vor, die Stromsteuer an den Anteil der erneuerbaren Energien aus der Steckdose zu koppeln: Wer 10 Prozent Ökostrom bezieht, muss dann 90 Prozent Stromsteuer zahlen – wer reinen Ökostrom bezieht, bezahlt auch keine Stromsteuer.
4. Die Probleme der Atomkraft benennen: Das Hauptproblem der Atomkraft, sagt der Umweltrat, ist die Entsorgung. Diese Frage sei „wohl unlösbar“, urteilen die Experten. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, man habe den Müll nach der Einlagerung „ein für alle Mal vesteckt“. Es gebe keinen „idealen Standort für Endlager für hochradioaktive Abfälle“. Deshalb hält der Umweltrat eine „weitere Nutzung der Atomenergie für nicht verantwortbar“.
5. Zielgenauer aussteigen: Mit Umweltminister Jürgen Trittin ist der Umweltrat der Meinung, dass 25 bis 30 Jahre Laufzeit genug sind, um die Interessen der Betreiber zu schützen. Auch der Umweltrat tritt für eine flexible Lösung beim Ausstieg ein. Nur sollte das den Betreibern nicht allein überlassen werden. Vielmehr sollten zuerst die unsichersten Meiler vom Netz und dafür die übrigen etwas länger laufen.
6. Weg von den Schreckensbildern: Das Wort „Waldsterben“ setzt der Umweltrat lieber in Anführungsstriche. Die deutschen Wälder befänden sich derzeit in einer „unerwarteten Gesundungsphase“. Auch sei die Analyse der Blätter – wie sie bislang üblich ist – kein guter Indikator für die Waldgesundheit. Dennoch leidet der Wald neuerdings unter Ernährungsstörungen, nämlich einer Überdüngung durch die Einträge von Stickstoff in Luft und Wasser, und an einem Mangel an Magnesium. Und nach wie vor sind die reinen Forstwälder auf Dauer keine stabilen Bestände.
7. Die richtigen Themen benennen: Umweltpolitik kommt allzu oft als Verbot daher. Ein Problem, dass auch der Umweltminister langsam erkennt. Dabei gibt es auch positive Themen. Der Umweltrat nennt gleich mehrere: Der Schutz der Verbraucher vor Allergien durch Genkost. Die Einrichtung von zehn Prozent Naturvorrangfläche im deutschen Wald – schön für Spaziergänger. Und die Schaffung von naturnahen Flächen auch in der Stadt. Solche Grünachsen schaffen nicht nur Raum für Tiere und Pflanzen, sondern auch zur Erholung – und bringen nebenbei frische Luft in die Stadt. Manchmal muss aber der Mensch auch ganz draußen bleiben. Der Umweltrat fordert einen Totalschutz von fünf Prozent des Waldes.
8. Umweltschutz in alle Ressorts integrieren: Dies fordert der Rat schon seit Jahren – bisher ist wenig passiert. Besonders hervor hebt der Umweltrat dieses Jahr die unsinnige Arbeitsteilung beim Wald: die Trennung von forstlicher Planung in Karl-Heinz Funkes Agrarministerium und naturfachlicher Planung bei Trittin. Lieber sollten die Förster auch wie Naturschützer denken – und umgekehrt. Mit einem naturnahen Waldbau können auch die Förster eine neue Einnahmequelle mit dem hochwertigen, umweltschonend gewonnenen Holz erzielen.
9. Klare Ziele formulieren: Oft leidet der Umweltschutz daran, dass man die Ergebnisse nicht überprüfen kann. Der Umweltrat fordert deshalb eine klare so genannte Nachhaltigkeitsstrategie, in der sich jedes Ressort zu überprüfbaren Zielen verpflichtet. Verkehrs- und Bauminister Klimmt könnte sich etwa verpflichten, den Flächenverbrauch zunächst auf 30 Hektar pro Tag zu drosseln – und irgendwann auf null. Funke und Trittin einigen sich auf eine jährliche Mindestfläche für Naturschutz. Erst dann wird die Sache so spannend wie der monatliche Abgleich der Leistung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Arbeitsminister Walter Riester und Wirtschaftsminister Werner Müller an den Arbeitsplatzzahlen und am Wirtschaftswachstum.
10. Angebliche Lösungen entlarven: Kein Autofahrer ist sich so sicher, Umweltfreund zu sein, wie der Dieselfahrer. Doch die feinen Partikel aus dem Dieselauspuff fördern Krebs. Trotzdem ist Dieselsprit noch immer billiger, dürfen Dieselmotoren noch immer ohne Partikelfilter fahren. Die müssen her, fordert der Umweltrat – und gibt der Bundesregierung damit ein schönes Thema, sich als Gesundheitsschützer zu profilieren.
11. Prinzipielle Fehler der Vorläuferregierung korregieren: Unter Altwirtschaftsminster Günter Rexrodt war der Strommarkt liberalisiert worden, doch der FDPler machte einem entscheidenden Fehler: Er ließ die Stromnetze in der Hand der Ex-Monopolisten. Die nutzen ihren Netzzugang noch immer, um unliebsame Konkurrenz zu benachteiligen – und auch umweltfreundliche Energieformen wie die Kraft-Wärme-Kopplung zu diskriminieren. Das stört auch den Umweltrat. Rot-Grün aber traute sich nicht an das Thema heran.
12. Umweltsauereien auch bestrafen: Grenzwertüberschreitungen beim Castor-Transport sind für den Umweltrat keine Kavaliersdelikte. Sie sollten künftig mit einem Bußgeld belegt werden. Warum nicht, Justizministerin Herta Däubler-Gmelin?
13. Nicht den Mut verlieren: Es sei nicht seine Aufgabe „zu loben“, sondern „den Finger in die Wunde zu legen“, beruhigte gestern der Umweltrat. Deshalb kann man von ihm keinen Jubel für Rot-Grün erwarten. Doch ließ der Vorsitzende Rehbinder schließlich durchblicken: Der alten Regierung habe man beim letzten Gutachten eine „dürftige Bilanz“ attestiert – und das für damals immerhin schon 15 Jahre Regierungszeit. So streng wolle man über die neue Regierung noch nicht urteilen. Also, Kopf hoch, Herr Trittin! MATTHIAS URBACH
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