Abschiedsvorstellung

Sechzehn Jahre nach der Flebbe-Übernahme schließt heute das „Neue Cinema“  ■ Von Jan Distelmeyer

„Ich hätt' gern ein Warsteiner.“ – „Tut mir leid, wir haben nur Ratsherren und Einbecker Urbock.“ – „Gut, dann nehm ich 'nen Beck's.“ Wie viele Dialoge dieses Zuschnitts ich am Tresen des Neuen Cinema habe erleben dürfen, kann ich unmöglich genau sagen. Ich weiß nur, dass mir in den fast sieben Jahren, in denen ich in diesem Kino an der Bar und an der Kasse gearbeitet habe, so ziemlich jede Kommunikationsstörung begegnete, die irgendwie mit Kino vereinbar ist. Höhepunkt: „Das Eis ist zu kalt!“ Schön war auch, wenn ausgewiesene Studenten (2 Mark Ermäßigung, Wochenende und Kinotage ausgenommen) auch nach der dritten Beteuerung, die Sitze im Kino seien nun einmal nicht nummeriert („Freie Platzwahl!“), den Kampf um gute Sicht und das Recht auf stumpfe Ignoranz nicht aufgaben: „Dann nehmen wir zwei schöne Plätze, so fünfte Reihe Mitte.“

In gewisser Weise war das Neue Cinema genau das, was man sich unter einem altmodischen Kino vorstellt: nur drei Vorstellungen am Tag, ein kleines Foyer mit Bar, ausgelagertes Kassenhäuschen, keine Popcornmaschine, keine frisch aufgewärmten Nacho-Käsesoßen und keine Computerkasse. Dazu ein wunderschöner, in sich geschwungener Kinosaal mit einer kleiner Empore, deren erste Reihe vor allem vom Stammpublikum frequentiert wurde. Nur die Lage – Steindamm 45, zwischen Straßenprostitution und Scientology – schien alle selbsternannten Cinephilen dieser Stadt von einem regelmäßigen Besuch abzuhalten. Einzig ein Teil der Schwulenszene von St.Georg hielt dem Kino die Treue, was aber leider auch nicht verhindern konnte, dass ausverkaufte Vorstellungen die Ausnahme blieben. Möglicherweise wird das Neue Cinema als das Kino mit dem meisten Lob und den schlechtesten Besucherzahlen in die Hamburger Filmgeschichte eingehen.

Schon morgen könnte darüber entschieden werden, denn heute abend wird das Neue Cinema seine letzten Vorstellungen zeigen. Like it is steht auf dem Programm – immerhin ein Titel, der die Lakonie eines solchen Abschieds, der ohne Ansprache, Umtrunk und Häppchen auskommen muss, recht gut wiedergibt. Sechzehn Jahre nachdem die Flebbe-Kinotheaterbetriebe das in der Nachkriegszeit eröffnete Kino übernommen hatten, fällt der letzte Vorhang. „Zu wenig Besucher“ lautet die Begründung. Seit Jahren – spätestens mit der Errichtung des Cinemaxx – hatte ein Teil der Belegschaft die Schließung befürchtet. Allen voran der 1995 verstorbene Filmvorführer Uwe Schulz, die Seele des Kinos, der nicht nur für mich mit dem Bild dieses Kinos für immer verbunden bleibt.

Grund genug also, hier mit ganz persönlicher Trauer von diesem Kino Abschied zu nehmen. Weil die Schließung des „Neuen Cinema“ ein symptomatischer Verlust der Kinolandschaft auf dem Weg in die Multiplex-Diktatur ist, und weil mich knappe sieben Jahre mit ihm verbinden. In dieser Zeit habe ich die Liebe meines Lebens gefunden, Arminia Bielefeld ist nach grauenhaften sieben Jahren im Darm des Amateurfußballs in die Bundesliga zurückgekehrt und meine Beziehung zum Kino hat ein neues Fundament erhalten.

Gut möglich, dass dem Sterben der kleinen Häuser und den Neubauten so unfreundlicher Schuppen wie dem UCI-Kinocenter an der Autobahnauffahrt Othmarschen in Zukunft noch einmal der Trend zu privateren Kinos mit einer anderen Atmosphäre und mit anderen Filmen folgen wird. Es fragt sich nur, ob es bis zu diesem Zeitpunkt noch jene Spielstätten geben wird, denen sich dereinst ein junges, neues Pub-likum zuwenden könnte. Und das ist nicht zuletzt eine Frage, deren Antwort wir als Kinogänger selbst beeinflussen können. Was auch immer in den Räumen des Neuen Cinemas in Zukunft Platz finden wird: Für alle Besucher und Mitarbeiter geht hier eine ganz eigene Ära zu Ende. Wer jemals von Uwe am Einlass angepflaumt worden ist („Na, wohl nicht!“), Thomas im Foyer hat tänzeln sehen oder als einziger Gast an einem unspektakulären Montag die Spätvorstellung genossen hat, weiß, wovon ich rede.