: „Wahid ist ein Schachspieler“
Indonesiens Parlamentspräsident und Ex-Muslimführer Amien Rais über die Politik des neuen Staatspräsidenten Wahid und seine eigene Drohung mit dem Dschihad
taz: Wie bewerten Sie die Politik des neuen indonesischen Präsidenten Adurrahman Wahid?
Amien Rais: Ich gebe seiner Arbeit die Note „ausreichend“, er hat den Test gerade so bestanden. Nicht befriedigend ist zum Beispiel die Überwindung der Finanzkrise, die Reduzierung der Arbeitslosigkeit oder die Rekapitalisierung der Banken. Der größte Erfolg war die Entlassung von General Wiranto aus dem Amt des Sicherheitsministers. Wiranto war ein Symbol des Status quo. Jeder weiß, dass der General eng mit dem früheren Präsidenten Suharto verbunden ist. Als er von Präsident Wahid suspendiert, ja letztlich entlassen wurde, war damit das größte Hindersnis für jede Entwicklung beseitigt.
Wirantos Entlassung ging ein Zickzackkurs Wahids gegenüber dem General voraus. War das Strategie oder Konfusion?
Es überrascht mich nicht, dass Außenstehende Wahid als konfus empfinden, aber für viele meiner Landsleute ist er ein wirklich guter Schachspieler, obwohl man hinzufügen muss, dass natürlich auch Schachmeister Fehler machen. Insgesamt hat Wahid richtige Entscheidungen gefällt, aber ist bisher nicht die Probleme der Bauern, Arbeiter und Fischer angegangen.Wahids Politik vernachlässigt das Schicksal der armen Bevölkerungsmehrheit, wir haben 35 Millionen Arbeitslose. Für diese hat Wahids Regierung bisher kein Programm.
Wie sollte die Armut beseitigt werden?
Das sollte nicht so schwierig sein. Wahid hat drei Wirtschaftsteams – seine Minister, den nationalen Wirtschaftsrat und den von ihm eingeberufenen Rat zur Förderung einheimischer Unternehmer. Bisher haben die aber alle keine Ergebnisse erzielt, denn Wahid ist immer noch sehr schwankend.
Die Regierung ist in Aceh mit Separatisten und in den Molukken mit religiösen Konflikten konfrontiert. Geht sie damit richtig um?
Die Regierung ist nicht geschickt genug und reagiert auf Probleme zu spät. Erst in letzter Zeit scheint sie sich bewusster zu werden, dass sie diese Probleme nicht vernachlässigen darf. Noch arbeitet die Zeit für die Regierung, solange sie konkrete Lösungsschritte unternimmt.
Was sollte die Regierung tun?
Sie muss sofort die Gewalt stoppen, dann können wir über die jeweiligen Probleme vor Ort sprechen – über die Aufteilung der Mittel, Dezentralisierung und den Schutz der Menschenrechte. Aber bisher wurde die Gewalt nicht beendet.
Sollten mehr Soldaten nach Aceh und zu den Molukken geschickt werden?
Nein. Die Regierung sollte die Provokateure verhaften. Dies wäre abschreckend, es nicht zu tun wäre ein Blankoscheck. Polizei und Militär sollten den klaren Befehl haben, die Gewalt zu beenden. Militärs, die Fehler machen, müssen vor Gericht.
Sie haben auf dem Höhepunkt der Gewalt auf den Molukken auf einer Demonstration in Jakarta zum Dschihad – zum heiligen Krieg – aufgerufen. Spielen Sie mit dem Feuer?
Das wurde von den Medien völlig falsch verstanden, besonders von den westlichen. Wenn die das Wort Dschihad hören, verstehen die gleich heiliger Krieg mit Waffen, um Menschen zu töten. Dabei zielte ich auf die Regierung und habe auf der Kundgebung gesprochen, um Druck auf die Regierung auszuüben. Wahids Regierung muss verstehen, dass die Entwicklungen in Aceh und besonders in Ambon zu weit gehen. Die Zeit rennt uns davon, ich möchte nicht noch mehr Blutvergießen in meinem Land erleben.
War die Drohung mit dem Dschihad nicht ernst gemeint?
Dschihad hat Dutzende von Bedeutungen, während im Westen darunter nur das Stereotyp vom religösen Kreuzzug, dem heiligen Krieg, verstanden wird. Wir Muslime verstehen darunter die Mobilisierung unserer Zeit und Energie für gute Taten.
Interview: SVEN HANSEN
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