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Eine Topographie des Bremer Nazi-Terrors

■ Zwei Hamburger Architekten haben einen Vorschlag entwickelt, wie die Gegend um den Farger Nazi-Bunker „Valentin“ zu einem Mahnmal werden könnte. In der Bürgerschaft ist ihr Entwurf jetzt zu sehen

Am Anfang interessierten sich die frisch gebackenen Hamburger Architekten Christoph Schild und Marcus Daltrop vor allem für die imposante Struktur des wuchtigen Zweckbaus, der seit fast 60 Jahren in Höhe des Ortsteils Farge grünumwuchert am Unterlauf der Weser liegt. Tausende von Tonnen Beton und Stahl sind dort verschmolzen zu einer gewaltigen, 400 Meter langen, bis zu 100 Metern breiten und 25 Meter hohen schmutzig-grauen Halle.

Hinter 7,5 Meter dicken Mauern suchten dort die hakenbekreuzten Bauherrn schlagkräftiges Wundermaterial für den ersehnten Endsieg herzustellen: U-Boote, die in den letzten Kriegsjahren in dieser Bunkerwerft mit Namen „Valentin“ am Fließband produziert werden sollten, um dem im Grunde längst verlorenen Krieg noch die entscheidende Wende zu geben.

Den Bunker „Valentin“ verließ niemals auch nur ein U-Boot. Gezielte Luftangriffe der Alliierten im März 1945 beendeten die Nazi-Pläne und hinterließen am Weserstrand ein jahrzehntelang kaum beachtetes gigantisches Mahnmal des Terrors, dessen Bau allein mindestens zweitausend Zwangsarbeitern das Leben kostete.

Die Auseinandersetzung mit der Architektur des Bunkers, die Daltrop und Schild zunächst zum Gegenstand ihrer im Frühjahr 1998 begonnenen Diplomarbeit an der Fachhochschule Hamburg machen wollten, wandelte sich vor diesem Hintergrund schnell zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Opfern des nazistischen Größenwahns. Im Haus der Bürgerschaft ist nun anhand eines großen Modells und mehrerer Zeichnungen zu sehen, wie sich Schild und Daltrop die architektonische Umsetzung eines Mahnmals „Bunker Valentin“ vorstellen. Zentrale Idee: Durch die architektonische Gestaltung des weiteren Umfeldes des Bunkers soll eine „Landschaft der Erinnerung“ entstehen, die die Funktionszusammenhänge zwischen unterschiedlich gelegenen, aber thematisch eng verknüpften Orten sichtbar macht.

Die Strecke zwischen dem Bunker und dem knapp fünf Kilometer entfernt gelegenen, ehemaligen Marinegemeinschaftslager II, das heute als Weser-Geest-Kaserne geläufig ist, soll durch eine Baum-Allee als Weg hervorgehoben werden. Diese Lagerstraße mussten die 10.000 bis 12.000 Zwangsarbeiter, KZ-Insassen, Kriegsgefangenen und Häftlinge eines Arbeitserziehungslagers, die auf der Bunkerbaustelle wie Sklaven schufteten, täglich zurücklegen.

Die zahlreichen weiteren Gefangenenlager und Gräberfelder, die diese kilometerlange Lagerstraße säumen, sollen durch schlichte, aber klar sichtbare Landschaftsmarken kenntlich gemacht werden. An Kreuzungspunkten mit anderen Wegen informieren Texttafeln mit Überlieferungen von Opfern über die Geschichte dieser Landschaft. Sowohl dem Valentin-Bunker als auch der Weser-Geest-Kaserne kommt in dieser Topografie der Erinnerung eine zentrale Bedeutung zu. Während dem Bunker in diesem Vorschlag die Funktion eines Dokumentationzentrums zukommt, das anhand von historischen Dokumenten über die regionale und nationale Dimension der Zwangsarbeit informiert, soll die Kaserne zu einem Ort der Forschung und Begegnung werden.

Nach Ansicht der beiden jungen Architekten stünden die Chancen nicht schlecht, dass dieser Vorschlag über den Status eines Modells hinauskäme. Schließlich sei der Bunker heute weitgehend unbenutzt, während die von der Bundeswehr beanspruchte Kaserne bei Schwanewede aufgegeben werden könnte, da wenig genutzte Ausweichkasernen in unmittelbarer Nähe vorhanden seien.

Freilich bedarf es mehr als freier Flächen, um eine solche „Landschaft der Erinnerung“ umzusetzen – zum Beispiel des politischen Willens, ein solch ambitioniertes Projekt Wirklichkeit werden zu lassen. Wie es aussehen könnte, kann jedeR Bürgerschaftsabgeordnete ja in den kommenden Wochen in aller Ruhe direkt an seinem Arbeitsplatz studieren. zott

bis zum 7. April im Haus der Bürgerschaft zu sehen (mo-fr, 10-17 Uhr). Wer Kontakt zu den beiden Architekten aufnehmen will: Tel. 04101/42 936

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