Taxifahrer mit besonders flexiblem Gehirn

Einer britischen Studie zufolge ist das Gehirn flexibler als bisher gedacht. Es kann sich den Berufsanforderungen anpassen. Bei Londoner Taxifahrern verändert sich mit der Zeit der Gehirnaufbau. Die für die Orientierung zuständigen Areale sind stärker ausgeprägt als bei anderen Menschen

Das menschliche Gehirn ist weitaus flexibler als bisher angenommen. Das zeigt eine diese Woche vorgestellte Studie über Londoner Taxifahrer. Nach den Erkenntnissen von Neurologen des University College London passt sich bei Taxifahrern das Gehirn den Anforderungen ihres Berufs an. Die Neurologen fanden heraus, dass mit zunehmender Berufserfahrung das für die Orientierung zuständige Hirnareal, Hippocampus geannt, immer größer wird. „Es scheint einen direkten Zusammenhang zwischen ihrer Tätigkeit und der Entwicklung ihres Gehirns zu geben“, sagte die Neurologin Elanor Maguire bei der Vorstellung der Studie, die in dem renommierten US-Wissenschaftsmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wurde.

Für ihre Studie hatten die britischen Forscher das Gehirn von 16 Londoner Taxifahrern im Alter von 32 bis 62 Jahren untersucht und mit den Messdaten von 50 „Normalbürgern“ verglichen. Die mit Hilfe eines Kernspintomografen ermittelten Messwerte zeigten überaschenderweise, dass bei allen Taxifahrern die beiden als Hippocampi bezeichneten Hirnareale um mehrere Millimeter größer waren. Diese beiden spiegelbildlich angelegten Hirnregionen haben ihren Namen, weil sie die Form eines Seepferdchens haben.

Bei ihren Foschungen fanden die Neurologen auch heraus, dass die Hippocampi umso stärker entwickelt waren, je mehr Berufserfahrung die Taxifahrer hatten. „Insgesamt hatten die Fahrer nicht mehr Hirnmasse“, erklärte Maguire, aber sie war anders verteilt.

Seit längerem schon ist bekannt, dass die Hippocampi eine zentrale Funktion bei der räumlichen Orientierung haben. Versuche mit Ratten und Vögeln hatten gezeigt, dass infolge einer Zerstörung der Hippocampi die Tiere sich nicht mehr orientieren konnten. Sie irrten ziellos umher. Vermutlich ist diese Hirnregion auch dafür verantwortlich, dass neue Informationen im Langzeitgedächtnis abgelagert werden. Die Hippovampi sind offenbar der Archivar für das Gehirn, der Bilder zum jederzeitigen Abruf speichert.

Das würde auch erklären, warum bei den Londoner Taxifahrern die Hippocampi stärker ausgebildet sind. Bevor sie sich das erste Mal hinter das Steuer eines der traditionellen „Cabs“ setzen dürfen, müssen sie eine als besonders schwer bekannte Prüfung ablegen. Zwei Jahre lang müssen die künftigen Fahrer den Stadtplan, Fahrtrouten und besondere Bauten büffeln. Nur ein Fünftel der rund 3.500 Bewerber erhält auch anschließend die Lizenz. Das intensive Büffeln von Stadtplänen bleibt offensichtlich nicht ohne Wirkung auf den Archivar des Gehirns. Dazu kommt, dass diese Informationen im Laufe ihres Beruflebens immer wieder abgefragt werden, wenn sie ihre Kundschaft durch die Londoner City kutschieren, und sie auch immer wieder neue Straßensituationen aufnehmen.

Die Londoner Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn weitaus flexibler ist als bisher angenommen und sich den jeweiligen Lebensanforderungen anpassen kann. Zwar hatte man schon vorher Kenntnisse darüber, dass die Hirnregionen unterschiedlich ausgeprägt sein können. So hatte man Unterschiede zwischen Musikern und unmusikalischen Menschen festgesellt. Man ging aber lange Zeit davon aus, dass die Ausprägung spätestens im Kindesalter abgeschlossen wird. Bei den Musikern wurde vermutet, dass die Unterschiede schon bei der Geburt angelegt waren. Die Londoner Studie zeigt zumindest, dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss.

WOLFGANG LÖHR