Der Strippenzieher

von HEIKE HAARHOFF

Kuhn ist ein wohltuend reflektierender Politiker. Ich hoffe, dass er Bundesvorsitzender der Grünen wird.

Welch garstige Wirkung gut gemeinte Zeilen doch nach sich ziehen können. Seine Fanpost hat der Mann von der Basis an die Presse geschickt. Zielstrebig und in bester Absicht. An die Presse, die anwesend war, als Fritz Kuhn, Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Landtag, neulich in einer Gaststätte in Singen am Bodensee über die „Wirtschafts- und Finanzpolitik aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen“ referierte. Begleitet vom Applaus jener Basis, die sich später zu Wort meldete – Geschäftsführer, Regierungsdirektoren, Steuerberater und andere Mitglieder der örtlichen Sektion des „Wirtschaftsrats der CDU e. V.“.

Und natürlich hat die Presse nachgefragt. „Ja, typisch“ sei das für den „Frontmann der Realos“, gifteten die Neider, die Widersacher, die politisch Andersdenkenden aus Kuhns eigener Partei. Ausgerechnet in Zeiten, in denen Distanz zur skandalgeschüttelten Christdemokratie sich empfehle, müsse „der Fritz mit seinen wirtschaftsliberalen Ansichten“ einen Vortrag bei einem CDU-nahen Unternehmerverband halten und dann auch noch Lob von der falschen Seite kassieren.

Allein: Geschadet hat es ihm nicht. Bislang. Fritz Kuhn hat oft für Aufregung gesorgt mit dem, was er „Gesprächsbereitschaft mit dem politischen Gegner“ nennt. Anfang der 90er Jahre provozierte er, der nie selbst regiert hat, mit Überlegungen über schwarz-grüne Landeskoalitionen. In Talkshows ließ er Baden-Württembergs einstigen Ministerpräsidenten Lothar Späth besser wegkommen, als manche es nötig fanden. Auf Grünenparteitagen im Südwesten durften gar Christdemokraten reden. Doch zugleich brachten ihm seine Grenzgänge den Ruf eines „strategisch denkenden Kopfs“ ein. Kuhn definiere sich und die Grünen „eben nicht als in babylonischer Gefangenschaft zur SPD“, lobt der nordrhein-westfälische Grünen-chef Reiner Priggen.

Heute gibt es neuen Wirbel um Fritz Kuhn, und wieder hat der auch etwas mit der CDU zu tun. „Absurd“, das gaben ihm 130 Parteilinke dieser Tage schriftlich, sei es, dass Politiker wie er trotz der Affären bei CDU und SPD Ämterhäufung künftig auch bei den Grünen zulassen wollen. Ein Tabubruch. Mehr noch: ein Erpressungsversuch. Denn an die Bedingung, dass er seinen Fraktionsvorsitz in Stuttgart behalten darf und die Grünen ihre Satzung auf dem Parteitag jetzt entsprechend ändern, hat Fritz Kuhn seine Kandidatur zum Parteivorsitz geknüpft.

Allein: Diesmal könnte es ein Problem geben. Und das heißt „Fischers Fritz“. Kuhn gilt als Zögling und Vertrauer Joschka Fischers. Und eben dieser darf sich nun vom Parteitag vorhalten lassen, warum er Hermes-Bürgschaften etwa für ein chinesisches AKW zugestimmt hat, ohne die Fraktion frühzeitig zu informieren. Pech für Kuhn, standen doch vor ein paar Tagen seine Chancen, bald an der Spitze der Partei zu stehen, noch bestens.

Dass er das Zeug dazu hat und mit 44 im besten Alter dafür ist, bestreiten nicht einmal seine Gegner vom linken Flügel. Ausschlaggebender für seinen Erfolg aber dürfte sein: Im Lager der Realos, die traditionell einen der beiden Parteichefs stellen, ist Kuhn nach dem Rückzug Gunda Röstels konkurrenzlos.

Entsprechend unverkrampft ist Kuhns Plauderton. „Ich möchte in Berlin einsteigen.“ Nach 16 Jahren Landespolitik endlich auch auf Bundesebene mitmischen – mehrmals war Kuhn diesem Ziel nahe. Mal wurde er als Koordinator im Bundeskanzleramt gehandelt, mal als Staatssekretär bei Hans Eichel. Diesmal, findet er, muss es klappen. Denn in Berlin geht es nach seinem schwäbischem Empfinden „lausig“ zu. „Lausig schwach“ etwa sei die Partei zuletzt „im Vermarkten positiver Erfolge“ gewesen. „Kampagnenfähig“ will Kuhn, der Professor für Kommunikationswissenschaft, sie deswegen machen. „Mich hat’s gestört, dass kein Plakat zum CDU-Spendenskandal da war, so was muss `ne moderne Partei leisten“, schimpft er und gestikuliert, als werde er sich notfalls selbst ans Zeichenbrett stellen.

Wo doch heutzutage alles eine Frage der Kommunikation ist. „Nehmen Sie das Sparpaket“, schlägt er vor. „Das Sparpaket war für die SPD wie für uns Grüne der Kosovokrieg.“ Wie bitte? Er überhört die Frage. „So, und nun sehen Sie: Die SPD hat ihren Kurs durchgesetzt.“ Die Grünen gingen ihrer Partei in Scharen stiften. „Vielleicht hätte eine Anzeigenkampagne was gebracht.“

Das grüne Profil stärken, die Staatsverschuldung abbauen, den Generationenvertrag neu definieren, das wolle er „als neuer Bundesvorstandssprecher“ erreichen, sagt Fritz Kuhn. Als Bundesvorstandssprecher. Er macht eine Pause, wiederholt das Wort wie den Namen eines liebgewonnenen Kumpels, der die Zeichen der Zeit leider nicht mehr ganz erkennt, lächelt, „also meinetwegen auch als Parteichef, ist mir doch wurscht, wie das heißt“. Wichtig sei jedenfalls, in Krisen selbst aktiv zu werden, anstatt „Pressemitteilungen zu schreiben und dann zu hoffen, dass die Zeitung `ne winzige Meldung druckt“.

Fritz Kuhn hat gelernt, sich und andere zu motivieren und Niederlagen als Herausforderungen zu begreifen. Das, so sagen seine Freunde, sei seine Stärke: Menschen zusammenzuführen und für ein Projekt zu begeistern. Nach der verlorenen Kommunalwahl im vorigen Herbst hängten Kuhn und seine Kollegen sich tagelang ans Telefon, um sich von enttäuschten Ex-Wählern beschimpfen zu lassen. Eine frustrierende Geschichte, aber wenn Kuhn sie erzählt, dann blitzen die Augen, dann zucken die dunkelblauen Anzugbeine, als wollten sie sich gleich zum Schneidersitz verkreuzen, dann klingt das alles, als sei Kuhn mit Pfadfindern auf Nachtwanderung gewesen.

Wehe aber, es wird ihm widersprochen. Wehe, man merkt zaghaft an, dass Ämterhäufung immer dem eigenen Machterhalt und nicht eben der innerparteilichen Transparenz dient. Dann wird der Ton des Mannes, der eben noch Teamgeist beschworen hat, schneidend. „Der parlamentarische Hintergrund ist für die Parteiführung nützlich. Wenn man in der Fraktion ist, hat man automatisch Generalistenwissen, was Renten- oder Finanzpolitik angeht.“ Er könnte auch sagen: Die beiden Mädels, die den Job bislang gemacht haben, hatten keinen blassen Schimmer.

Ein Kommunikationsprofi formuliert solche Attacken freilich eleganter: „Mit unserer jetzigen Struktur zwingen wir Leute in die Wahl, die nicht das Backing haben dafür.“ Die Nichtakzeptanz führe zu den beklagten informellen Machtstrukturen und einem virtuellen Vorsitzenden.

Dass Fritz Kuhn einen solchen künftig neben sich dulden wird, steht weder zur Frage noch zu befürchten. Die jahrelange Männerseilschaft Fischer/Kuhn war darauf angelegt, einen würdigen Nachfolger heranzuziehen, dessen Politik und Führungsstil ein weiteres Einmischen Fischers unnötig machen. Kuhn steht seinem Ziehvater in nichts nach, was eloquente Gesprächsführung angeht: Auf einer seiner Dienstreisen stattet er der örtlichen Zeitung einen Redaktionsbesuch ab. Das Dutzend Redakteure hat seine Fragen wohl vorbereitet. Doch zu einem Interview kommt es nicht. Kuhn erzählt mühelos, was er schon immer erzählen wollte.

Sein Trick ist einfach. Bloß kein Manuskript, sondern immer frei reden: „Sie müssen doch sehen, ob die Leute einschlafen oder die Fäuste ballen.“ Und dann hurtig reagieren.

Auf Abweichler „im Zweifel mit Psychodruck“. So jedenfalls schildern Stuttgarter Fraktionskollegen Kuhns Art, sich am Ende immer durchzusetzen. Als Kuhn sich schon zu einem frühen Zeitpunkt im Bosnienkrieg für eine militärische Intervention aussprach, wurden alle, die ihn dafür kritisierten, „kalt gestellt. Kuhn zauberte Gegenkandidaten aus dem Hut, sobald wir Kritiker irgendeinen einflussreichen Posten anstrebten“, erinnert sich einer, der darunter litt. „Undemokratisch“ oder „patriarchalisch“ seien die Entscheidungen zwar nie durchgedrückt worden, dafür aber in informeller Runde „im Küchenkabinett“. Das Arbeitsklima in der Landtagsfraktion basiere „auf Misstrauen und Unterdrücken“. Und „jemand Gleichwertiges neben sich“ dulde Kuhn schon mal gar nicht. Die Hoffnung, dass sich an dieser Haltung in Zukunft etwas ändern könnte, lässt er denn auch erst gar nicht aufkommen: „Renate Künast und ich treten nicht als Duo an“, sagt er barsch, wenn man ihn auf die grüne Berliner Fraktionschefin anspricht, der gute Chancen in einer Doppelspitze mit ihm eingeräumt werden.

„Der Fritz“, sagt eine Abgeordnete aus Stuttgart, „hat ein irres Gespür für die politische Brisanz von Themen. Aber er ist ein elender Strippenzieher; offene Feldschlachten liebt der nicht.“ Genau wie Fritzens Fischer.