: Ein Topf voll Definitionsmacht
Während Berlin immer weniger mit der Finanzierung seiner Opern, Theater und Museen klar kommt, versucht Kulturstaatsminister Naumann über Geldmittel seinen Einfluss auf die Hauptstadt auszubauen – bis in Personalfragen
Er scheint seinem Ziel immer näher zu kommen, obwohl er weiter reichlich ungeschickt agiert. Am Morgen noch bringt er einen Mann für einen Job ins Spiel, der ihm am Nachmittag in aller Öffentlichkeit sagt, dass er dafür nicht zur Verfügung stehe. Trotzdem – Kulturstaatsminister Michael Naumann hat sein Ziel womöglich schon erreicht. Schließlich forderte gerade eine Abgeordnetengruppe um Rita Süssmuth die Bundesregierung auf, den Begriff „Kultur“ zu definieren. Das geht ihn an. Und weil Michael Naumann nichts lieber möchte, als den Kulturbegriff der Berliner Republik zu definieren, muss die verwegene Parlamentsanfrage – ganz gegen ihre Absicht – Balsam auf seine Seele sein. Nun gut, es treibt ihn, das sei der Fairness halber gesagt, nicht nur sein Ehrgeiz. Es nötigt ihn auch sein merkwürdig undefinierter Arbeitsplatz „in Angelegenheiten der Kultur und Medien“.
Wie viel Kultur hat Michael Nauman fragte einmal zu Beginn seiner Amtszeit eine deutsche Sonntagszeitung. In einem Land mit föderaler Kulturhoheit hatte er so gut wie keine. Inzwischen aber hat Naumann Berlin. Und Berlin hat jede Menge Kultur, nur leider sehr, sehr wenig Geld. Da ist der Mann mit den Bundeszuschüssen gefragt. Jede Menge Museen, Kunst- und Konzerthäuser, die Festspiele, drei Opernhäuser, drei Symphonieorchester und mindestens sieben große Theater, die meisten Häuser dazu ins öffentliche Tarifsystem eingebunden, brechen der Stadt finanziell das Genick. Die arme reiche Stadt Berlin also gibt Naumann die Chance aufs Ganze. Hier scheint er den föderalen Kultusminister in Form der Kultursenatorin schon fast ausgeschaltet zu haben. Wenn Christa Thoben den Chef der Salzburger Festspiele, Gerard Mortier, für die Nachfolge des dieses Jahr ausscheidenden Intendanten der Berliner Festspiele Ulrich Eckhardt favorisiert, sagt Michael Naumann, er lege sich auf Joachim Sartorius fest, den Generalsekretär des Goethe-Instituts.
Das macht er, weil er zuvor schon mal festgehalten hat, dass die 80 Millionen Mark, die der Bund zur Berliner Kulturförderung besteuert, künftig nicht mehr planlos im städtischen Kulturhaushalt untergehen werden, sondern auf wenige Institutionen wie das Jüdische Museum, das Philharmonische Orchester, das Haus der Kulturen der Welt, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt und den Martin-Gropius-Bau zu konzentrieren sind. Und wo man Geld gibt, da wird man wohl ein Wörtchen mitzureden haben, wie etwa bei den Personalfragen der vorgenannten „Leuchtürme“, zu denen eben auch die Berliner Festspiele gehören.
Dass Naumanns künftiger Festspielintendant dann gleich absagte, mag weniger mit der mangelnden Absprache zwischen beiden zu tun haben, als mit Sartorius’ (vorläufiger?) Rücksicht auf bayerische Empfindlichkeiten. Immerhin hat der Generaldirektor mit seinen Plänen den Hauptsitz des Goethe-Instituts nach Berlin zu verlegen die bayerische Landeshauptstadt München schon einmal schwer schockiert. Man muss also die Leute nicht schneller brüskieren als notwendig.
Nun sollte die feindliche Übernahme des Kulturstaatsministers in Berlin die anderen Länder gar nicht so sehr irritieren. Es sind tatsächlich die Versäumnisse der Ära Radunski, die Naumann leichtes Spiel geben. Das Opfer des Schiller Theaters war dank Radunskis Durchwurschteln völlig umsonst. Es hätte aber das Startsignal für eine durchgreifende Reform der Berliner Bühnen und Opern sein können, die nun umso dringender ansteht, als keine Oper und keine Bühne bei Naumanns Fischfang dabei ist.
Tatsächlich sollten die Länder beobachten, welches Konzept bei der Übernahme zum Vorschein kommt. Auf die Frage, warum keine der Berliner Opern auf seinem Zuschussplan stünde, mokierte sich der Minister über einen möglichen Fall des „Staats-Wagnerianismus“. Gleichzeitig ist es aber „seine altmodische Überzeugung“, dass in der Kultur, zum Beispiel in der Musik und in der Oper, „genau jener Lebenstrost zu haben“ sei, „den wir mehr denn je benötigen“. Beantwortet das die Anfrage von Frau Süssmuth?
Wenn Michael Naumann mit Berlin wirklich aufs Ganze gehen will, dann darf er neben den Angelegenheiten der Kultur die der Medien nicht vergessen. Und damit nicht jenen traditionsreichen Berliner Vorort, der zum einstigen weltweiten kulturellen Ruhm der deutschen Metropole nicht wenig beitrug. Babelsberg aber, das jenes mythenmächtige Bild von Berlin prägte, in guten wie in schlechten Zeiten, hat Michael Naumann keineswegs. Das hat das arme Konsortium Berlin-Brandenburg, genauer der französische Mischkonzern Vivendi. Und der überraschte ausgerechnet während der Berlinale mit der Mitteilung, dass Friedrich Carl Wachs, der hoch engagierte Vorsitzende der Geschäftsführung, das Studio Babelsberg verlässt. Vivendi will konsolidieren.
Hier aber, im Bereich von Film und neuen Medien machte Michael Naumanns Draufgängertum nun wirklich Sinn. Denn um in diesem Bereich etwas zu Wege zu bringen, müssen die Länder zusammen gezwungen, die Verflechtung von Film- und Fernsehwirtschaft, die Stoiber und Clement so hartnäckig verfolgen, aufgebrochen und die freien Produzenten gestärkt werden. Nicht Berlin, sondern Babelsberg oder das, was Michael Naumann einstmals das „Bündnis für den Film“ nannte, entscheidet ob er seinem Ziel näher kommt, ob er seine Angelegenheiten profiliert. Die Anfrage der Abgeordnetengruppe um Rita Süssmuth könnte dann geradezu revolutionär beantwortet werden, dahin gehend dass der Kulturbegriff der Berliner Republik auf Seiten des Staates tatsächlich die Entflechtung von Politik und Kreativität meint. Es soll sich ja hier so wenig um „Naumann-Goebbelsianismus“ handeln, wie dort um „Staats-Wagnerianismus“.
BRIGITTE WERNEBURG
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