: Newroz im Staatsschutzsaal
Erneuter Prozess wegen der Besetzung der SPD-Zentrale. Elf KurdInnen am Tag des kurdischen Neujahrsfestes vor Gericht ■ Von Elke Spanner
Es beginnt und endet mit einer Entschuldigung. Ausgerechnet zum kurdischen Neujahrsfest Newroz eröffnet das Landgericht Hamburg den Prozess gegen elf KurdInnen, die im Februar vorigen Jahres die SPD-Zentrale an der Kurt-Schumacher-Allee besetzt und den Kreisgeschäftsführer Dirk Sielmann als Geisel genommen haben sollen.
Angesichts dieser Taktlosigkeit finden sich die Beteiligten nur kurz im Staatsschutzsaal ein. Eine Anwältin bekundet ihr Bedauern über den Termin und die Kammer unterbricht die Verhandlung, nachdem die Staatsanwaltschaft verlesen hat, was den KurdInnen vorgeworfen wird: Geiselnahme, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch.
Am 16. Februar 1999 entführte der türkische Geheimdienst den Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan, aus Nairobi. Bundesweit protestierten KurdInnen gegen die Festnahme. Von der deutschen Regierung verlangten sie, sich für das Leben Öcalans einzusetzen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, besetzten rund 20 KurdInnen in Hamburg die SPD-Zentrale. Einige drangen bis in den dritten Stock vor, verbarrikadierten sich, hängten Transparente aus den Fenstern und warfen Mobiliar hinaus. Fast neun Stunden lang wurde Sielmann dort festgehalten.
Die jetzt auf der Anklagebank sitzen, sind alle Jugendliche und Heranwachsende. Deshalb können sie den Saal über den Gerichtsflur betreten und müssen nicht aus der Untersuchungshaft heraufgeführt werden. Einige von ihnen konnten nach der Besetzung zunächst in der Gruppe der SymphatisantInnen vor der Tür untertauchen, andere waren von der Polizei im dritten Stock der SPD-Zentrale angetroffen worden – dort, wo Sielmann festgehalten worden war. Den zehn jungen Männern und einer 19jährigen Frau wird deshalb auch Geiselnahme vorgeworfen. Ein 19jähriger ist zudem angeklagt, wenige Tage später in einem Bus drei Geiseln genommen zu haben, nachdem Polizisten ihn als Besetzer wiedererkannt hatten und kontrollieren wollten. Alle elf kündigen an, nicht auszusagen.
Nicht zum ersten Mal wird wegen der damaligen Besetzung verhandelt. Im Juli wurden vier erwachsene KurdInnen, die den dritten Stock nie betreten hatten, zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Im September bekam ein Angeklagter wegen Geiselnahme ein Jahr und neun Monate Haft. Sümer Y., der bei der Besetzung die Fäden in der Hand gehalten haben soll, sitzt für zwei Jahre und neun Monate im Gefängnis. Die BesetzerInnen hätten nicht geplant gehabt, eine Geisel zu nehmen, billigte der Richter ihnen seinerzeit zu: „Aber plötzlich war die Geisel da.“
Bei den ersten beiden Prozessen hatten Kammer, Verteidigung und Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld das Urteil ausgemauschelt. Ohne Beweisaufnahme konnte das verkündet werden. Bei diesem Prozess hat das Gericht Termine bis zum Herbst angesetzt.
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