surfen im neonarzissmus von KATHRIN PASSIG :
„Ehrgeiz und Ruhmbegierde machen einen hervorstechenden Zug in meinem Charakter aus. Von Welt und Nachwelt gepriesen zu werden, dünkt mir das größte Erdenglück.“ So schreibt 1795 Anselm von Feuerbach, der zur Beförderung seines irdischen Ruhms u.a. das bayerische Strafrecht reformiert hat. Dass die Folter heute selbst in Bayern abgeschafft ist, verdanken wir Herrn von Feuerbach.
Die Nachwelt preist ihn dafür vielleicht sogar ein bisschen zu sparsam, aber was soll’s: Er ist tot. Das Vergnügen liegt schließlich darin, sich zu Lebzeiten an der Vorstellung der eigenen Unsterblichkeit zu erfreuen: „Stundenlang kann ich herumgehn und mich an den Bildern meiner Hoffnung ergötzen. Ich denke mir dann, wie ich von der Welt gerühmt, von der Nachwelt als Beförderer der Wissenschaften gepriesen werde, wie man meine Werke citirt, meinen Namen im Munde führt und mir eine ehrenvolle Stelle unter den Wohlthätern des Menschengeschlechts und den Männern anweist, die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben. O wie selig, wie unaussprechlich glücklich bin ich dann!“
Wir Nachgeborenen sind nicht mehr gänzlich auf die Kraft unserer eigenen Fantasie angewiesen, wenn wir uns in der Bewunderung der Massen sonnen wollen. In der Wired-Kolumne „Jargon Watch“ wird schon 1996 der Begriff des „Ego-Surfing“ aufgeführt. Er beschreibt das heimliche Laster, den eigenen Namen in Suchmaschinen einzugeben und sich an den resultierenden Belegen für die eigene Existenz und deren Bekanntheitsgrad zu erfreuen. Dabei handelt es sich allerdings nur um die proletarischste Variante einer noch viel differenzierteren Form der Selbstbefriedigung.
Die nächste, immer noch recht tölpelhafte Stufe besteht im Erstellen einer eigenen, mit einem Zähler versehenen Homepage. Täglich wirft man nun prüfende Blicke auf diesen Zähler, nicht ohne ihn dabei jedes Mal selbst um eins zu erhöhen. Fortgeschrittenere Ego-Surfer verschmähen den kleinbürgerlich-ostentativen Zähler ebenso wie das ohnehin nur von gutmütigen und mehrfach dazu aufgeforderten Freunden gefüllte Gästebuch. Sie studieren die Zugriffsstatistiken des Webservers, wissen genau über den Beliebtheitsgrad jeder einzelnen Seite Bescheid und erfreuen sich daran im Stillen, ohne mit vulgären Pagehits anzugeben. Mein Kollege Harald, Autor eines obskuren Freeware-Programms, startet mehrmals täglich die Konkurrenzprodukte und erfreut sich an deren Minderwertigkeit und umständlicher Bedienung.
Eine der ausgefeiltesten Varianten praktiziere ich selbst: Mindestens einmal die Woche rufe ich eine meiner zahlreichen selbst verfertigten Websites auf und stelle mir dabei lebhaft vor, ich wäre eine mir ganz fremde Person, die – womöglich nach langer fruchtloser Suche in den unnützen Schriften anderer – mehr über das dort behandelte Thema erfahren möchte. Aufmerksam lese ich das Dargebotene von der ersten bis zur letzten Zeile. Am Ende fühle mich durch und durch informiert und bin zufrieden. Alle meine Fragen sind beantwortet. Manchmal mache ich mir deshalb Sorgen und fühle mich ein wenig unnormal. Aber dann blättere ich in der taz und bin beruhigt. Frau Passig geht es ja nicht anders.
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