: Ein lautes Raunen stiller Empörung
■ Der letzte Vortrag zur Reihe FrauenSEXUALITÄT gibt zu denken / Opferrollen wurden bemüht
Das waren noch Zeiten, als Frauen gesenkten Blickes die Straße überqueren mussten, um nicht als Dirne zu gelten. Zeiten waren das, in denen Gynäkologen warnten, Berufstätigkeit rufe bei Frauen schwerwiegende Veränderungen hervor. Und da die Frau ja dem Manne Nachkommen schenken sollte, musste sie vom Gatten Erlaubnis einholen, um arbeiten zu dürfen. Ja, ja, so war das – zu Kaisers Zeiten. Mit einem Raunen der Empörung und auch zeitweiser Belustigung begleiteten die Zuhörerinnen das Referat von Kathrin Schmersahl „Frauen und Sexualität in historischer Perspektive“. In diesem letzten Vortag der Oldenburger Reihe „FrauenSEXUALITÄT“ – organisiert vom Frauenbüro der Stadt – spannte die Hamburger Sozialwissenschaftlerin einen wechselvollen Bogen: von den repressiven Konstrukten der Weiblichkeit des 19. Jahrhunderts bis zur Entdeckung der neuen Frau in der Weimarer Republik.
Seit der weibliche Körper zur Mitte des 19. Jahrhunderts in die Fänge der aufstrebenden Naturwissenschaften geriet, wurde der gesellschaftliche Geschlechterunterschied – der aktive Mann herrscht, die passive Frau duldet – nunmehr anatomisch und physiologisch begründet. Der Journalist Georg Hirr etwa zeigte sich begeistert vom Verhütungsgau: Für ihn gab es nichts „schneidigeres, unternehmenderes als diese kleinen Samentierchen, die kopflos in den Eierstrudel stürzen“.
Der Rektor der Basler Universität, Herrmann Fehling, fühlte sich also 1891 bemüßigt zu erklären, Frauen seien „aufgrund ihrer vierwöchigen Wellenbewegung den Stürmen des Lebens nicht so gewachsen“. Mit anderen Worten: Frauen sind durch ihre Sexualität definiert, sie beherrscht ihren Körper, ihre Psyche, ihr Bewusstsein und ihr Handeln. Männern hingegen, so befand Richard von Krafft-Ebing in seiner legendären „Psychopatia sexualis“, sei es möglich, sich von ihren starken Trieben zu emanzipieren und konstruktiv in Politik und Gesellschaft zu wirken, während die Frauen in ihrer schwächer ausgeprägten Triebkraft stärker verstrickt seien. Dass diese schwachen, verstrickten, verwirrten Wesen aber offenbar nicht so ganz von selbst bescheiden in ihrem Eiercocktail rührten, war ärgerlich. Aber nicht gefährlich. Denn vorlaute Frauen konnten – wissenschaftlich begründet – kurzerhand als vermännlicht diffamiert und in die Klappse abgeschoben werden.
Während des ersten Weltkrieges waren die Naturgesetze dann kurzzeitig außer Kraft gesetzt: Frauen wurden als Arbeitskräfte gebraucht. Doch kaum war der Herr wieder im Haus, musste auch die Frau wieder ihrer natürlichen Bestimmung gehorchen, das wurde gesetzlich geregelt. Die Frauen aber hatten Geschmack am Joch der Lohnarbeit gefunden und wollten mehr. Mit der Weimarer Republik kletterten die Rocksäume hoch, Frauen rauchten, tranken öffentlicht und dachten nicht daran, zu heiraten. Die neue Frau war geboren!
Selbstverständlich, so räumte die Referentin ein, war dieser Typus nur in Großstädten vertreten. Und natürlich auch nur unter den etwas betuchteren Fräuleins, die noch bei Papa und Mama beköstigt wurden. Und überhaupt galt dieses Problem mit der Arbeitserlaubnis sowieso nur für die Frauen des kleinen feinen Bürgertums (etwa zehn Prozent der Bevölkerung), während sich Arbeiterfrauen und Dienstmädchen für ihre unterdrückten bürgerlichen Schwestern krummackerten und von deren Gatten geschwängert wurden. Denn so recht konstruktiv wussten die ihre überschießenden Triebe dann wohl doch nicht einzusetzen. Das sagte die Referentin dann nicht mehr so explizit, aber bei dem klassischen Frauenthema Prostitution und Abtreibung – Folge der Triebabhilfe – wurde dann auch der große Rest der Frauenwelt für einen kleinen Moment sichtbar. Das ärgerte.
So amüsant so mancher Rückblick war, frau hatte eher den Eindruck, hier haben sich eben gerade die bürgerlichen Frauen versammelt, die 30 Jahre Frauenbewegung auf dem Buckel haben, um ihre Problemgeschichte zu betrachten. Statt sich aber lachend auf die Schulter zu klopfen, „Was haben wir alles geschafft“, wurden alte Opferrollen bemüht und der allgemeine Rückschritt beklagt: „Die jungen Mädchen wollten alle gleich die Pille, das Diaphragma sei passé, denn die jungen Dinger wollen sich ja nicht mehr selbst untersuchen. Wie furchtbar!“ Ein Dialog mit jungen Frauen würde wohl für alle mehr bringen, als diese Rückschau zwischen Triumph und Selbstmitleid. Vielleicht fallen dabei den Frauen über vierzig (an die sich die Reihe explizit richtete) die Früchte ihrer Bemühungen in den Schoß, die sie in ihrem eigenen Leben nicht mehr ernten konnten: Junge Frauen beginnen offenbar Sexualität und Mutterschaft selbst zu definieren. Opferrollen sind für sie wohl mega out. Und dabei lassen sie sich jetzt auch von keiner Frauenbewegung mehr bevormunden.
Marijke Gerwin
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