: Liebe, Geld und Blut
Die 1. tazVeloTour 2000: Von Blankenfelde über Mittenwaldenach Königswusterhausen. Im Urlaubsdomizil des „Untertanen“
von MARTIN KALUZA
„Die Pflastersteine der Hauptstraße streckten ihre Spitzen nach oben, und die Julisonne färbte sie bunt. Die Häuser waren höckrig, schief und so klein, dass die Straße zwischen ihnen sich ausnahm wie ein Feld mit Steinen.“ Ausnahmsweise nicht Fontane, sondern Heinrich Mann beschreibt Mittenwalde so, in dem er Diederich „Untertan“ Heßling und Agnes Göppel für ein Techtelmechtel absteigen lässt.
Natürlich war auch Fontane einmal hier. Der schrieb damals: „Wer reist nach Mittenwalde? Niemand.“ Aber nur, um sogleich klarzustellen: zu Unrecht. Manchmal ärgern sich die Mittenwalder ein bisschen, wenn der Fontane nur bis zum „Niemand“ zitiert wird und halten sich deswegen lieber doch an Mann.
So oder so. Grund genug für uns, das 2.100 Einwohner zählende Städtchen mit dem Fahrrad zu inspizieren. Die Tour über fast durchweg gut ausgebaute Wege mit wenig Autoverkehr eignet sich hervorragend für eine Tagesflucht aus Berlin. Sie beginnt an der Endstation der S-Bahn-Linie 2 in Blankenfelde: Dort geht vom Parkplatz ein (oft zugestellter) Sandweg ab, der den Gleisen entlang auf die Bahnhofstraße führt. Wir überqueren sie und biegen am Ende der Brechtstraße halbrechts in einen Waldweg ein.
Im Wald links auf den nächsten großen Waldweg, dann immer dem Lärm nach: Wir müssen die Autobahn unterqueren und gelangen so zum Rangsdorfer See, folgen dem Wanderweg Richtung Rangsdorf und genießen die Aussicht. Nach dem Campingplatz geht links die Seebadallee ab, der wir (vorbei am hübschen Kirchanger) bis zum Bahnübergang folgen können; danach auf die Groß Machnower Straße. Am Supermarkt rechts Richtung Pramsdorf, ab dort den Schildern nach Groß Machnow folgen.
Wir sehen zu, dass wir das hässliche Durchgangskaff schnell hinter uns bringen und folgen den grünen Wanderwegweisern, die uns auf einen etwas rumpeligen Betonplattenweg über die Felder nach Mittenwalde leiten. Wer lieber sterben möchte, kann auch die viel befahrene Landstraße nehmen. Wenn alles geklappt hat, erreichen wir den Ortskern von der Nordseite her und passieren die Reste des Berliner Tores und des Pulverturms.
Von der sechs Meter hohen und zwei Meter dicken Stadtmauer aus Feldsteinen ist so gut wie nichts mehr übrig, und vom alten Kern ist allein der Grundriss geblieben, in den um die Jahrhundertwende neue Stadthäuser eingesetzt wurden.
Seit 1307 genießt Mittenwalde Stadtrecht, und in der Tat war es im Mittelalter einmal ein wichtiger Handesplatz und baute sich von 1350–1500 mit der Mauritiuskirche ein großzügiges Gotteshaus – der Pastor zeigt uns die Empore im Seitenschiff, auf der Graf Yorck von Wartenberg mit seinen Rekruten gezecht hat, wo Paul Gerhardt seine bekanntesten Kirchenlieder schrieb, und die Namenstäfelchen in den Kirchenbänken: Denn dort durfte nur sitzen, wer auch seine Kirchensteuern gezahlt hatte.
Im 16. Jahrhundert hatten die Mittenwalder so viel Geld, dass sie es an die Berliner verliehen und erst 1893 auf die Idee kamen, es verzinst zurückzufordern. Die Berliner nahmen das amüsiert zur Kenntnis. Wir schieben unser Rad übers Kopfsteinpflaster. Wer die Tiroler Küche zu schätzen weiß, stärkt sich im „Ackerbürger“ und denkt langsam an die Rückkehr.
Auf dem letzten Stück kann man sich praktisch nicht mehr verfahren: Schnurgerade führt der gut ausgebaute Radweg von Mittenwalde aus am Ufer des Nottekanals entlang direkt auf den S-Bahnhof Königs Wusterhausen zu. Noch kurz davor bietet sich am Pferdehof Weiher ein Abstecher nach Schenkendorf an, wo Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulescu, der adoptierte letzte Nachfahre des echten Grafen Dracula, ein Restaurant mit Biergarten und Kutschenmuseum unterhält. Hin und wieder ruft der Prinz auch mit dem Roten Kreuz auf zur – na, was schon? – Blutspendenaktion.
Anfahrt: S2 alle 20 Minuten nach Blankenfelde. Rückfahrt: S46 alle 20 Minuten und Regionalzüge von Königs Wusterhausen.
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