: Onkel Schneiders Märchenstunde
Der Milliarden-Pleitier Jürgen Schneider stellte in Leipzig sein neues Buch „Alle meine Häuser“ vor
LEIPZIG taz ■ Die passend sentimentale Devise hat Jürgen Schneider sich für den Auftritt zugelegt: „Urteile nicht über einen Menschen, bevor du nicht fünf Minuten in seinen Mokassins gelaufen bist“, doziert der Ex-Baulöwe. Nötig war das nicht, denn seine Schuhe wollten sich am Donnerstagabend gleich 1.000 Leipziger anziehen: Der Milliarden-Pleitier mit ausgesetztem Haftbefehl stellte im Hauptbahnhof sein neues Buch „Alle meine Häuser“ vor.
Ganz offensichtlich haben die Leipziger ihm verziehen: „Ach, Herr Schneider, wir bräuchten heute wieder einen wie Sie“, war am Ende seines Vortrags zu hören, der eher zum Rührstück geriet: „Ich war der Prinz, der die im Dornröschenschlaf liegenden Schönheiten Leipzigs wachküsste.“ Und überdies ein Robin Hood, der mit Bankengeldern eine bröckelnde „Puppenstube“ rettete, ein Messias gar, der den Brüdern und Schwestern im Osten die Segnungen des Westens überbrachte. Die Banken spielten mit: „Ich bekam so viel Geld, wie ich wollte.“ 476 Millionen Mark allein von Januar bis März 1994, weitere 1,5 Milliarden waren zugesichert. Die Leipziger geben Schneider die Gewissheit: „Ich muss niemanden von meiner Aufrichtigkeit überzeugen.“ Ein Herr, der sich als Steuerberater vorstellt, fragt sich laut, warum Schneider die Banken so geschont habe. Der Handwerker, der angibt, durch Schneider einen ganzen Jahresverdienst verloren zu haben, wirkt da beinahe störend. Schneider antwortet ihm „mal grundsätzlich: Das tut mir ganz bitter leid.“ Er wisse, was Pleite bedeute. Zur Wiedergutmachung will er das Geld aus dem Buchverkauf einem Fonds für unverschuldet in Not geratene Handwerker überweisen. „Da sind Sie dann auch dabei.“
Dass kein einziges seiner Leipziger Projekte fertig saniert wurde, ficht die Zuhörer an diesem Abend nicht an. Im Gegenteil: Stadtrundgänge in Leipzig solle er doch bitte anbieten. Und Schneider flirtet: „Was die Leipziger wollen, det mach ich.“ Nur das Völkerschlachtdenkmal könne er nicht sanieren: „Wenn ich ein paar Steine in die Hand bekomme, wird da gleich ein Palast draus.“ JÖRG VÖLKERLING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen