: Genosse Mensch
von JENS KÖNIG
Lothar Bisky hat ein neues Spielzeug. Sechzehn blaue und fünf silberfarbene Kugeln, aufgereiht auf einer Kette aus Metall. Jede einzelne dieser Kugeln lässt er durch seine kleinen, breiten Finger gleiten, dann schwingt er die Kette um seine Hand, von rechts nach links, von links nach rechts, hin und her, so dass die Kugeln laut aneinander schlagen. Schäuble und Genscher, die mit Bisky zusammen auf die Aufzeichnung einer Fernsehsendung warten, schauen sich wortlos an. Da sitzt ihnen dieser Kommunistenchef im dunklen Anzug gegenüber und benimmt sich wie ein Halbstarker.
Genscher sieht aus wie immer. Große Ohren, gelber Pullunder. Nur dünner ist er geworden. Er erinnert sich wahrscheinlich gerade an einen seiner vielen Besuche beim Papst. „Ist das ein Rosenkranz?“, fragt er Bisky. „Nö“, antwortet der, „ein Komboloi. Ist ein Geschenk aus Griechenland, die Männer dort spielen damit zur Entspannung.“ Genscher schaut immer noch leicht verwirrt. „Keine Angst, ich bete nicht“, sagt Bisky. Der alte FDP-Fuchs lässt nicht locker. Vielleicht wittert er irgendetwas. „Wozu brauchen Sie das Ding?“, bohrt er weiter. Bisky schwingt sein Komboloi jetzt direkt vor Genschers müden Augen. „Wenn jemand zu mir kommt und sagt, die PDS ist pleite, dann spiele ich an meiner Kette und antworte: Ach so, pleite? Ist ja interessant.“ Bisky lacht schallend und guckt in die entgeisterten Gesichter ihm gegenüber. Er schlenkert seine Kette haarscharf an Schäubles Rollstuhl vorbei.
Bisky ist wie ein aufgeschlagenes Buch: Man muss nur drin lesen
Wenn Lothar Bisky ein normaler Politiker wäre, würde man jetzt sagen, er wolle Gelassenheit demonstrieren. Aber der PDS-Vorsitzende ist kein normaler Politiker. Wenn er eines nicht kann, dann ist es, sich zu verstellen. Er ist wie ein Buch, das aufgeschlagen vor einem liegt, man muss einfach nur darin lesen. Es birgt kein Geheimnis.
Wenn Bisky mit seiner blausilbernen Kette spielt, dann will er nicht Gelassenheit zur Schau stellen – er ist gelassen. Er hat sich in diesen Tagen innerlich von einer Last befreit, die ihm sieben Jahre lang schwer auf seiner Seele lag. Diese Last ist unbeweglich, groß und rot. Es ist seine Partei, die PDS. Auf deren Parteitag in Münster in knapp zwei Wochen wird er seinen Genossen sagen, dass er im nächsten Jahr Schluss macht als Parteichef. Bis 2001 ist er gewählt. Dann hat er acht Jahre lang an der Spitze der PDS gestanden. Mehr als genug, findet er. Jetzt will der Parteivorstand extra das Parteistatut verändern, in dem die Amtszeit auch für den Parteivorsitzenden auf acht Jahre begrenzt ist. Natürlich werden sie ihn zu überreden versuchen, doch noch zwei Jahre dranzuhängen. Aber Bisky will nicht mehr.
Seine Genossen werden es erleben. Lothar Bisky, einer der größten Zauderer vor dem Herrn, der noch immer weich geworden ist, wenn sie ihn um etwas gebeten oder ihn angefleht haben, kann auch Entscheidungen treffen, sogar radikale. So wie er vor einem Jahr mit dem Rauchen aufgehört hat. Dreißig Jahre lang hat er gepafft wie ein Schlot, jeden Tag zwei Schachteln Karo, dieses filterlose DDR-Kraut, und plötzlich machte er Schluss, einfach so, von einer Stunde auf die andere. Keiner hat ihm das zugetraut. Jetzt lebt er gesund wie ein Model von Armani: keine Zigaretten, kein Kaffee, viel Obst, viel Wasser, und mit dem Mountainbike fährt er jeden Morgen Brötchen holen.
Natürlich würde Lothar Bisky nicht zugeben, dass ihm die PDS eine Last und der Chefposten der Partei ein Gräuel ist. Nur einmal hat er es öffentlich eingeräumt. Vor drei Jahren bezeichnete er sich selbst als die „finale Mülltonne der PDS“. Jedes Problem haben die Genossen bei ihm abgeworfen, jeden Mist sollte er entsorgen. Und er hat es getan, weil er ein Pflichtmensch ist, und weil er nicht Nein sagen kann. Aber jetzt ist Schluss damit. „Die finale Mülltonne ist voll“, sagt Bisky. Es klingt jedoch nicht so, als sei er deswegen frustriert oder gar böse. Im Gegenteil, er wirkt erleichtert. Das mag damit zusammenhängen, dass Lothar Bisky, wenn er seinen Rücktritt erklärt, einen der größten Irrtümer seines Lebens beendet.
Will man diesem Irrtum auf die Spur kommen, muss man nach Schleswig-Holstein fahren, nach Brekendorf, ein 1000-Seelen-Nest in der Nähe von Eckernförde. Hier oben wird nicht viel geredet, dafür halten die Vorurteile ein Leben lang.
Heinrich Reimer lebt seit sechzig Jahren in Brekendorf. Er ist hier geboren. Die Spuren seiner Familie in diesem Ort lassen sich sechs Generationen zurückverfolgen, und die Reimers gehörten immer zu denjenigen, denen es gut ging. Im Dorf rufen ihn alle „Hein“.
Bisky kam als Flüchtlingskind nach Schleswig-Holstein
Reimers Erinnerungen liegen in einem großen braunen Schrank. Er schlägt das Fotoalbum auf und holt ein Schwarzweißbild von 1959 heraus. „Das bin ich“, sagt er und zeigt auf einen gut aussehenden jungen Mann mit Elvis-Tolle und kurzen Lederhosen, „und das hier ist Lothar.“
Vierzig Jahre später hat Heinrich Reimer die meisten Haare seiner Elvis-Frisur verloren. Überhaupt wirkt heute alles an ihm unauffällig. Trotzdem gehört er wahrscheinlich zu den Menschen, die am besten erklären können, warum Lothar Bisky in die Politik geraten ist. Die beiden sind seit über fünfzig Jahren befreundet.
Bisky kam nach dem Krieg mit seinen Eltern aus Hinterpommern nach Brekendorf. Sie galten als das arme Flüchtlingspack, als der letzte Dreck. Gewohnt haben die Biskys in einer Baracke hinter dem Kieswerk. Der Lothar hatte es immer schwerer als ich, sagt Heinrich Reimer. Reimers Eltern besaßen eine Gaststätte und hatten immer Geld. Biskys Vater war Analphabet und Hilfsarbeiter, Biskys Mutter Putzfrau. Ihr Geld reichte nicht einmal zum Nötigsten.
Die beiden Jungen gingen zusammen zur Schule. Nebenbei arbeitete der kleine Lothar im Straßenbau, ging kellnern, machte Wanderkino. Und seine erste Liebe war die Tochter des Großbauern. Der Flüchtlingsjunge Lothar Bisky verdingte sich bei ihm als Knecht, aber eines Nachts erwischte ihn der Bauer mit der Tochter und jagte ihn vom Hof.
In der Schule machte Lothar Bisky das meiste mit links. Er war ein guter Schüler, sagt Reimer. Las sogar Nietzsche, aber auch Marx und Engels. Das erste Mal hat er die beiden bärtigen Männer auf den Briefmarken in der Post des Nachbarn gesehen, dann entdeckte er sie im Buchladen wieder. Er kaufte sich das „Kommunistische Manifest“. Das war die erste plausible Erklärung meiner sozialen Empfindungen, wird Bisky später sagen.
Lothar Bisky wollte Brekendorf und die Demütigungen, die er dort erlebte, hinter sich lassen. Im Sommer 1959 flieht der 18-Jährige in die DDR. Niemandem hat er es vorher verraten, seiner Mutter nicht, seinem Bruder nicht, nicht seinem Freund Hein. Verstanden hat es keiner von denen. Lothar Bisky hoffte auf ein besseres Leben – aber ausgerechnet in der DDR? Für ihn war das bestimmt auch ein Abenteuer, sagt Reimer.
Die Überraschung über Biskys Flucht in die DDR ist ihm bis heute anzusehen. Aber verstehen kann er seinen Freund mittlerweile. Professor wäre der Lothar im Westen doch nie geworden, sagt er, nicht als Flüchtlingskind. Wenn man Lothar Bisky fragt, was er aus seiner Jugendzeit in Schleswig-Holstein am meisten vermisst, dann sagt er nur: den Wind.
Vor einigen Wochen hat er seinen Freund Hein Reimer in Brekendorf besucht. Zu dessen 60. Geburtstag. Biskys erste Liebe war da, Nachbarn, Bekannte von früher. Sie haben die ganze Nacht geredet und getrunken. Am Morgen sagte Bisky zu seiner Frau: Irgendwie mag ich die Leute, aber wenn ich hier leben müsste, würde ich sofort wieder abhauen.
Die Demütigungen als Flüchtling konnte Bisky nicht vergessen
Die Demütigungen durch die Bauern kann Lothar Bisky nicht vergessen. Daher rührt sein feines Gespür für Kränkungen, sein Gefühl für die Verletzungen von Menschen, sein Widerwille, sich vor den vermeintlich Stärkeren zu bücken. Diese Wut aus seiner Jugendzeit trägt er immer noch in sich. Sie treibt ihn an. Aber manchmal treibt die Wut ihn auch zu weit. Dann überlistet sie ihn, und ohne dass er es merkt, begeht er einen Irrtum.
Einen seiner größten Irrtümer beging Lothar Bisky, als er in die Wirren des Wendeherbstes 1989 geriet. Damals war er noch Rektor der Filmhochschule in Babelsberg, einer, den die Studenten liebten und verehrten, weil er unkonventionell war, ein Gorbatschow-Fan, einer, der sich mehr traute als andere, bei allem Opportunismus. Als Bisky sah, wie sich im Herbst 1989 die Menschen veränderten, wie sie sich wendeten, wie aus Feiglingen über Nacht Helden wurden, wie Genossen, die Honecker und Hager in den Arsch gekrochen waren, plötzlich Geschichten aus ihrem jahrelangen Widerstandskampf gegen das Unrechtsregime erzählten, da stieg in ihm die kalte Wut hoch. Jetzt erst recht, dachte er sich, und ging in die Politik. Redete am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz über einen menschlichen Sozialismus, saß 1990 für die PDS in der Volkskammer, wurde im Herbst des gleichen Jahres in den Brandenburger Landtag gewählt, und drei Jahre später war er plötzlich Parteivorsitzender. Das ging alles so schnell, dass Lothar Bisky gar nicht merkte, wie seine Wut ihn überlistet hatte. Der Filmwissenschaftler, dieser sinnliche Typ, ging in die Politik – dabei hatte er für Parteien, Programme und Strategien schon damals wenig übrig.
Genscher und Schäuble sitzen schon in der Maske. Für die beiden ist das Schminken genauso Routine wie das Beantworten der Fragen später im Babelsberger Fernsehstudio. Alles an ihnen ist Politik: der graue Anzug, das blaue Hemd, die aufgesetzte Lockerheit, der stiere Blick. Bisky steht draußen vor der Tür und spielt immer noch mit seiner Kette. Plötzlich legt ein Kameramann eine Hand auf seine Schulter. „Mein Rektor“, ruft er und strahlt, als hätte er gerade Sharon Stone getroffen. Bisky fällt dem Kameramann um den Hals, es ist einer seiner früheren Studenten. Im Handumdrehen sind die beiden in ein Fachgespräch vertieft. Schäuble rollt wortlos an ihnen vorbei ins Fernsehstudio.
In solchen Momenten merkt man deutlich, dass sich Lothar Bisky in die Politik einfach nur verirrt hat. Man muss mit ihm nur eine halbe Stunde über die PDS und eine halbe Stunde über seinen eigentlichen Beruf als Filmwissenschaftler reden: Nach dem Gespräch über die Partei kann man sein Notizbuch auch wegschmeißen. Bisky sagt nichts, was man nicht schon tausendmal gehört hat. Nach einem Gespräch über Film oder Fernsehen möchte man jeden einzelnen Satz am liebsten noch einmal hören.
Die vergangenen zehn Jahre: ein Kampf, nicht Politiker zu werden
Bisky, der sonst immer so wirkt, als hätte er früher als Buchhalter gearbeitet, blüht bei diesem Thema auf, sein Gesicht bekommt Farbe, der ganze Mann beginnt zu leben. Er erzählt, als ginge es um seine Zukunft in Hollywood. Er schwärmt vom englischen Channel 4, seinem Lieblings-Fernsehsender, von der Regieschule im polnischen Lodz, von Niklas Luhmanns Buch „Die Realität der Massenmedien“, das er gerade zum zweiten Mal liest (und versteht!), von „Wege in die Nacht“, einem Kinofilm, den sein Schüler Andreas Kleinert gedreht hat.
Das ist der Grund dafür, dass Lothar Bisky bei seinem Irrweg durch die Politik nirgendwo ankommen kann: Weil er immer bei sich selbst bleibt. Wenn man Parteivorsitzender ist, kostet das immense Kraft, weil der Job nicht vorsieht, dass man sich von ihm nicht auffressen lässt. So waren die zurückliegenden zehn Jahre für Bisky ein einziger Kampf, kein anderer Mensch zu werden. Genauer gesagt: der Intellektuelle zu bleiben, der er immer war, und sich nicht in einen Politiker zu verwandeln.
Er hat sich die Zumutungen, die der politische Betrieb mit sich bringt, immer vom Leib zu halten versucht. Er ging nicht auf Vorstandssitzungen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Er mied die Parteizentrale im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, weil ihm schon die Vorstellung, wie viele unnütze, aufgeblasene Diskussionen dort stattfinden, körperliche Schmerzen verursachte. Er entzog sich, wann immer es ging, den Aufdringlichkeiten der Medien, die ihn einmal sogar mit rotem Anzug, roter Krawatte, roten Socken und roten Schuhen in einen roten Ferrari drapiert haben.
In der Politik interessiert das frühere Flüchtlingskind Lothar Bisky wahrscheinlich nur eines wirklich: die Menschen und ihre Kränkungen. Für sie setzt er sich ein, ganz egal, ob es sich um einen entlassenen Akademiker, einen angeklagten Stasi-Offizier oder einen SPD-Politiker handelt, der von seinen eigenen Parteifreunden kaltgestellt wird. Für Bisky sind das alles gefallene Menschenkinder in Not, und um die kümmert er sich. Da ist es ihm manchmal auch egal, dass jemand selbst daran Schuld ist, gefallen zu sein. Aus diesem Grund war er Mitte der achtziger Jahre schon Rektor der Filmhochschule in Babelsberg geworden: Er wollte den Studenten ermöglichen, ihre Träume zu leben. Er schuf ein Klima, in dem sie sich trauten, und er setzte sich vehement für ihre Filme ein, gegen allen Widerstand bornierter SED-Kulturfunktionäre.
Bisky kann zuhören, und er gibt ganz verschiedenen Menschen das Gefühl, von ihm beschützt und ermuntert zu werden. So hat er seine Partei über all die Jahre zusammengehalten. Die Richtungskämpfe konnten toben, wie sie wollten – Lothar Bisky hat alle Genossen in sein großes Herz geschlossen und miteinander versöhnt. In der Fachliteratur für Topmanager würde ein Typ wie Bisky wahrscheinlich als Lachnummer durchgehen: still, zögerlich, entscheidungsschwach, mit einer ausgeprägten Scheu vor Auseinandersetzungen.
Bisky, der gute Mensch der PDS, will nicht länger Harmonie herstellen
Seine engsten Mitarbeiter können sich in all den Jahren an nicht eine einzige Anweisung ihres Chefs erinnern. Er setzt nicht durch, sondern macht möglich – so beschreiben sie seinen Führungsstil. Bisky versucht, seinen Genossen in einer ihnen immer noch fremden Welt die Geborgenheit zu geben, nach der er selber sucht. Und dafür mögen sie ihn.
Er ist der gute Mensch der PDS.
Und auf einmal will dieser gute Mensch nicht länger Harmonie herstellen. Er will nicht länger PDS-Vorsitzender bleiben, obwohl er weiß, dass er seine Partei damit in eine Krise stürzen kann.
Die eine Erklärung für diese Entscheidung ist die, die Lothar Bisky selbst liefert. Das ist die mit der finalen Mülltonne, die eben irgendwann voll ist.
Die zweite Erklärung baut auf der ersten auf. Es ist eine, die Bisky selbst so nicht geben könnte. Die Partei braucht nämlich gar keine Mülltonne mehr. Sie hat einen Vorsitzenden nötig, der die Konflikte austrägt, anstatt sie in sich hineinzufressen, der entscheidet und nicht mehr laviert, der die Genossen treibt und sie nicht länger streichelt. Bisky, der ewige Schlichter, weiß das, aber er will es sich nicht eingestehen.
Er hält den Ruf nach dem großen Zampano, der vorne steht und befiehlt, wo es langgeht, für affig und typisch deutsch. „Führungsstärke“, sagt er und spricht das Wort aus, als würde er es nie wieder in den Mund nehmen, „Führungsstärke braucht eine sozialistische Partei nicht.“ Aber wie er dann über den gegenwärtigen Zustand der PDS redet, wird man das Gefühl nicht los, dass Biskys Auffassung über die besondere politische Kultur einer sozialistischen Partei der zweite große Irrtum seines Lebens ist.
In Wirklichkeit nämlich ist der Vorsitzende von seiner Partei enttäuscht. Bequem sei sie geworden und selbstzufrieden, schimpft er, und das nur, weil sie ein paar Wahlen gewonnen habe. Viele seiner Genossen glaubten, sie seien schon wieder wer. Ihm werde schlecht, sagt Bisky, wenn er sehe, wie sich in der PDS immer mehr Karrieristen tummeln. Er spricht über eine fast tödliche Erstarrung der Partei. Programmdebatte, Parteireform – nichts würde so richtig vorankommen. Und die Diskussionskultur in der Partei mache ihn krank, diese linke Besserwisserei, die gestörte Kommunikation, wo nicht mehr argumentiert, sondern nur noch denunziert werde. Gregor Gysi und er würden plötzlich als Kriegstreiber beschimpft, nur weil sie in der PDS-Debatte um UNO-Militäreinsätze kein prinzipielles Nein, sondern eine Prüfung jedes einzelnen Konfliktfalles durchsetzen wollten. Eine Scheiß-Kultur sei das, entfährt es Bisky.
Die finale Mülltonne Lothar Bisky müsste den Dreck, den sie bis jetzt immer bereitwillig entsorgt hat, der PDS eigentlich mal vor die Füße kippen. Von der Kommunistischen Plattform bis hin zu ständigen Personalquerelen. Das wäre schon so einiges. Und das würde einiges klären im Verhältnis des Vorsitzenden zu seiner Partei. Doch für solche Gewitter ist Bisky, bei aller Gelassenheit, nicht zu haben. Er ist zu anständig, zu feige und nach sieben Jahren auf seinem Posten wahrscheinlich auch schon zu erschöpft. Er ist davon überzeugt, seine Partei habe ihn gewählt, damit er den Laden zusammenhält und nicht, damit er darin aufräumt. Also wird er auf dem Parteitag in Münster den Genossen nicht die Leviten lesen, sondern ihnen lediglich sagen, dass er sein Amt abgibt.
Nach der Fernsehaufzeichnung in Babelsberg gibt es einen kleinen Empfang. Schäuble, Genscher und die anderen Studiogäste sitzen mit dem Intendanten des Fernsehsenders an einem Tisch. Es gibt Filetspitzen im Reisbett und Smalltalk. Nur Lothar Bisky ist nicht dabei. Er steht mit einem Glas Rotwein in der hintersten Ecke des Raumes. Seine blausilberne Kette hat er inzwischen in die Hosentasche gesteckt. Bisky passt in diese Runde wie ein Kriegsdienstverweigerer zum Militär. „Ich kann doch nicht so tun, als hätte ich mit Schäuble und Genscher etwas zu bereden“, sagt er einer Kollegin des Fernsehsenders, die ihn an den Tisch zu locken versucht. „Nee, nee, die großen Macher der deutschen Einheit sollen mal machen. Der kleine Junge aus dem Osten stört da nur.“ Das klingt beleidigt.
Ist es aber nicht.
Bisky weiß, dass er das alles nicht braucht: die Empfänge, die Politik, die Partei. Er trinkt seinen Rotwein aus und verschwindet im Dunkel der Nacht. Bei seinem Abgang huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Er wird jetzt nach Hause fahren. Das Buch von Luhmann will er heute unbedingt noch zu Ende lesen.
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