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Als Futter gibt es nur Schnee

In der Mongolei sind dem härtesten Winter seit 30 Jahren schon über 1,6 Millionen Tiere zum Opfer gefallen. Doch die Katastrophe in der Steppe hat nicht nur natürliche Ursachen. Im Wahlkampf muss die Regierung Fehler einräumen

von RENATE BORMANN

Nur mühsam ist es Batyn Temulen gelungen, die Tür seiner Jurte zu öffnen. Das Oberhaupt einer sechsköpfigen Viehzüchterfamilie aus der mongolischen Südwestprovinz Bayankhongor wollte vor kurzem nach seinen Tieren sehen, darunter 16 Kamele. Doch Temulen konnte sie zunächst nicht finden. Sie waren wie die ganze Steppe unter einer hohen Schneedecke begraben. Nur durch die Atemlöcher im Schnee konnte Temulen die Tiere erkennen. Durch mangelnde Versorgung geschwächt, hatten sie sich nicht einmal mehr erheben können. Temulen musste hilflos ansehen, wie sie verendeten.

Dem härtesten Winter seit 30 Jahren sind in der Mongolei bisher 1,6 Millionen Schafe, Ziegen, Rinder, Kamele und Pferde zum Opfer gefallen. Schätzungen zufolge werden weitere 400.000 vor dem Ende des Winters sterben. Besonders schlimm ist für die meisten Mongolen, dass die Tiere jämmerlich zugrunde gehen. In den Mägen der Kadaver sind lediglich Sand, Schmutz und kleine Steine. Jetzt gegen Ende des Winters, der mit Temperaturen von bis zu minus 45 Grad ungewöhnlich hart war, sind die Vorräte erschöpft. Menschen und Tiere sind völlig ausgelaugt.

„Ich habe alle meine Tiere verloren. Mir blieb nicht eine einzige Kuh“, sagt die Hirtin Sukhyn Tserennadmid. „Ich weiß nicht, wie ich die nächsten Monate überstehen soll.“ Wie sie sind eine halbe Million Mongolen, knapp ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, in ihren Lebensgrundlagen bedroht. Es gibt erste Berichte über Hungertote. Die Katastrophe wird sich noch lange auswirken, weil es künftig weniger Milch, Transporttiere und auch weniger Dung zum Heizen geben wird.

Schon der letzte Sommer war zu heiß und zu trocken. Eine ausreichende Futterbevorratung für den auch in normalen Jahren langen und harten Winter war deshalb nicht möglich. Dann fiel zu früh zu viel Schnee. Die Herden konnten nicht rechtzeitig auf die Winterweiden ziehen. Bereits am 17. September begann es in Bayankhongor, einer der am stärksten betroffenen Provinzen, zu schneien.

So schlimm das Viehsterben für die Züchter, ihre Familien und die ganze Volkswirtschaft ist, so ist es doch nicht so außergewöhnlich. Nur schlägt der Tsagaan Zud – der Futtermangel durch zu viel Schnee – in diesem Jahr viel höhere Wellen. Denn im Juni wählen die Bürger des zentralasiatischen Landes aus 29 Parteien ein neues Parlament. Schon jetzt ziehen die Kandidaten übers Land, wo sie mit dem Viehsterben konfrontiert werden. Ministerpräsident R. Amarjargal musste einräumen, dass das Ausmaß der Krise zunächst unterschätzt worden war.

Die Regierungskoalition aus National- und Sozialdemokraten sowie Demokratischer Union ist heillos zerstritten. Parteiaustritte und -neugründungen halten die Bevölkerung in Atem. Lediglich die oppositionelle Mongolische Revolutionäre Volkspartei zeigt sich einigermaßen geschlossen. Doch eine absolute Mehrheit der Ex-Kommunisten, die wohl demnächst in die Sozialistische Internationale aufgenommen werden, ist unwahrscheinlich. Und der Vorschlag der Demokraten, die Wahlen wegen der schwierigen Lage auf den September zu verschieben, steht in Widerspruch zur Verfassung von 1992.

Die jährlich wiederkehrenden Probleme in der Viehwirtschaft haben nicht nur natürliche Ursachen. Aufgrund der Privatisierung werden zum Beispiel mehr Profit versprechende Kaschmir-Ziegen gehalten, als den Weiden gut tut. Stellenweise ist das Land inzwischen regelrecht kahl gefressen. Einige Pflanzenarten sind bereits verschwunden oder wachsen in der kurzen Vegetationsperiode nicht mehr nach. Durch die 1990 eingeleitete Privatisierung gibt es auch keine staatlich organisierte Futtermittelbevorratung mehr. Auch soll der tatsächliche Viehbestand inzwischen viel größer sein als die offizielle Zahl von 33,5 Millionen Tieren. Die Gefahr der Überweidung wächst.

In der Katastrophe ist die Hilfsbereitschaft groß: Studenten aus der Hauptstadt Ulan Bator und Mongolen aus dem Ausland spenden für die Viehzüchter in der Steppe. Heu, Lebensmittel, Filzstiefel, Kleidung und Brennmaterial werden zum Teil mit Flugzeugen in die Krisenregionen gebracht. Am 24. März sagte auch die Weltbank der Mongolei 13 Millionen US-Dollar zu.

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