piwik no script img

Knapp vorbei ...

... ist auch daneben: Ein echt explosiver RTL-Bericht über angeblichen Waffenhandel auf dem Schulhof schießt mal wieder übers Ziel hinaus

von STEFFEN GRIMBERG

Nein, das Boulevardfernsehen hat es nicht leicht: Werktäglich muss gleich dutzendfach explosiver Stoff gefunden und versendet werden. Und Waffenhandel an einer Gesamtschule klingt doch Klasse. Also ab nach Essen, wo derlei angeblich auf dem Stundenplan steht, noch schnell einen Psychologen dazugemischt – und fertig war am 22. März ein weiterer Knaller für RTL-„Explosiv“.

Doch der geht gerade nach hinten los: Alle Szenen, in denen fünf 14-jährige Schüler angeblich hinter der Raucherecke scharfe Waffen verschieben, waren nach Darstellung eben dieser Schüler gestellt. Auch beim folgenden Interview mit drei dieser „Zeugen“ habe die Produktionsfirma Stichworte vorgegeben – und pro Interview 200 Mark geboten.

„Nur zum Schein“, rechtfertigt sich jetzt Peter Pionke, Essener Studioleiter der Cologne News Cooperation (CNC), die das Material für „Explosiv“ geliefert hat. Nichts sei abgesprochen gewesen, „wir haben saubere Arbeit abgeliefert“. Bei den „Recherchen“ half der Zufall: Vor der Redaktion hätten Schüler mit einer – angeblich scharfen – Waffe hantiert und von der „Waffenbörse“ berichtet, die „manchmal“ montags, mittwochs und donnerstag an der Gesamtschule Essen-Mitte stattfände, eben „in der großen Pause hinter der Raucherecke“.

Über diesen Kontakt entstand dann der Beitrag. „Unangemeldet“ sei das Team an der Schule aufgetaucht, von den drei gesprächsbereiten Kids kannte „unser Redakteur nur den Dicken in der Mitte“ – aber „alle drei waren Ausländer und sprachen nur gebrochen Deutsch“. Das allerdings zum Thema: „Ich habe mir eine 4,9-Millimeter-Walther besorgt und fühle mich dadurch an der Schule sicherer“, zitiert Pionke einen O-Ton. Drahtzieher der jugendlichen Schieber sei der „Onkel von Ali“, der angeblich Waffenfähiges aller Art organisieren könne. Doch der, so Pionke, habe leider seinen CNC-Termin platzen lassen. Dafür sei gerade, als das Team einpackte, auf dem Schulhof „noch mal ein Waffendeal über die Bühne“ gegangen, wie alle Schulhofszenen „mit versteckter Kamera“ gedreht. Zu besichtigen war all dies am selben Abend bei „Explosiv“, die Schulleitung, sagt Pionke, habe man aus redaktionellen Gründen erst am nächsten Tag befragen wollen. Immerhin die Kölner RTL-Zentrale bewies ein Mindestmaß an journalistischer Bodenhaftung – und informierte das NRW-Schulministerium in Düsseldorf.

Rolf Zimmermann, stellvertretender Schulleiter der Gesamtschule, hatte auch wie angekündigt am nächsten Tag mit CNC zu tun: Ziemlich barsch sei eine Stellungnahme der Schule eingefordert worden, berichtet Zimmermann „das Ganze hatte so’n negativen Touch.“

Der Schule liegen mittlerweile schriftliche Entschuldigungen der fünf Schüler vor, Polizei und Staatsanwaltschaft sind eingeschaltet, im NRW-Landtag gab es kleine Anfrage zum „Explosiv“-Beitrag. Eine Waffe holte die Polizei gestern an der Schule ab: Eine Soft-Air-Pistole, die laut Polizeisprecher Uwe Klein aber nicht die in der Sendung präsentierte Waffe ist. Hinweise auf „Handel mit scharfen Waffen an Schulen“ hat die Essener Polizei jedenfalls nicht, doch befänden sich die Ermittlungen im absoluten Anfangsstadium.

Die Kölner „Explosiv“-Zentrale hüllt sich derweil in Schweigen und verweist ausschließlich an CNC. Kontroversen und Vorwürfe journalistischer Schlamperei gehören auch irgendwie zum Tagesgeschäft: In Düsseldorf erteilten 1999 alle Schulen RTL Hausverbot. Und gestern wiesen die Rheinischen Kliniken Essen eine andere „explosive“ Behauptung zurück: Zwei Kinder würden dort nicht etwa, wie bei RTL suggeriert, widerrechtlich zu Forschungszwecken festgehalten, sondern auf Beschluss des Amtsgerichts behandelt, da für ihr Leiden vermutlich die Mutter verantwortlich sei. Gegen die stellte die Klinik jetzt Strafanzeige – und „Explosiv“ bleibt am Ball. Wetten?

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen