: Freistaat Hamburg: Mir san mir
In der Stadt wächst eine Gegenbewegung heran: Die Allianz für Bayern schadet dem Norden und verletzt den Gemeinsinn ■ Von Peter Ahrens
Es hat ein bisschen gedauert. Eine Woche haben die GegnerInnen gebraucht, jetzt gehen sie in die Offensive. Eine Woche lang herrschte hanseatische Besoffenheit, war die Luft geschwängert mit Lokalpatriotismus, eine Woche lang kannte diese Stadt keine Parteien mehr, sie kannte nur noch HamburgerInnen. Der Bürgermeis-ter hatte zur Allianz für Hamburg gerufen, und alle waren gekommen, die Labskaus-Union ins Leben zu rufen, hatten sich am norddeutschen Portepee fassen lassen – von der taz bis zur Handelskammer.
Ideologien waren vergessen, Brücken gebaut, Gegensätze nur noch ein böses Wort von gestern, wir wollen sein ein einig Volk von Elbseglern, in keiner Not uns trennen und Sturmflut. Alle bereit zum Kreuzzug gegen den bösen Süden, gegen die Raffgier („Schaffe, schaffe“) jenseits von Main und Neckar, Pogromstimmung gegen Weißwurstfetischisten und Lothar Matthäus-Fans. Jetzt ist die Gegenbewegung da: Sie wächst mitten im Auge des Sturms, hier in Hamburg. Einflussreiche Kräfte in der Stadt sind am Werk: Sie basteln an der Allianz für Bayern.
Im Bayernstübl an der Sievekingsallee haben sie sich getroffen, all die, die nicht mitmachen wollen beim Schulterschluss, all die, die fürchten um den Süden, ihren Süden. Die Leute von der Bavaria-Brauerei sind dabei, der Vorstand der Hamburg-Münchener Krankenkasse, der Regionalkorres-pondent der Süddeutschen Zeitung. Die Kontakte reichen bis weit in die Politik. Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Walter Zuckerer (geboren in Straubing, muss man mehr sagen?), sein GAL-Kollege Martin Schmidt (ewiger Franke) und selbst Sozialsenatorin Karin Roth (Nürtingen pur) fallen dem redlich Bünde schmiedenden Bürgermeister in den Rücken: Ein Abgrund von Landesverrat. Blut ist dicker als Wasser, wenn es hart auf hart kommt, sind alle Süddeutschen unsichere Kantonisten. Stoibers fünfte Kolonne. HSV-Profi Bernd Hollerbach ist Würzburger. Darf der das?
Noch ist der Bund geheim. Aber bald wird er zuschlagen, und dann tobt das letzte Gefecht für die Allianz für Hamburg. Dann gilt es: Wird das Hackbrett zum einzigen Musikinstrument in Hamburger Schulen? Oktoberfest auf dem Heiligengeistfeld? Viktualien- statt Fischmarkt? Der Bürgermeister im Trachtenjanker? Karl Moik im Ohnsorg-Theater? Mehmet Scholl im Volkspark? Fasching! (klingt schon wie Faschismus) Wollen wir das wirklich?
Ja. Wir wollen. Die Redaktion der taz hamburg (Ulm, Kassel, Stuttgart, Tübingen, München) ist bei der Allianz für Bayern auch wieder dabei. Und die Handelskammer zum Mittun zu bewegen, dürfte auch nicht so schwierig sein, und den Erzbischof, den Apotheker und alle anderen gesellschaftlich tragenden Kräfte. Die Aussicht des gelobten Hightechlandes vor Augen, wo noch der liebgewordene Brauch des finalen Rettungsschusses gepflegt wird und die Frauen ihre Leibesfrucht noch artig austragen, ist zu und zu verheißungsvoll. Die blitzende BMW-Karosse vor der Haustür, das Dirndl im Schrank, den Kruzifix an der Wand: das hat Perspektive. Fönwetter mit 20 Grad im März statt des niemals endenden Spätwinters, und aus dem Radio klingen die fröhlichen Wellen von Radio Charivari, und alle, wirklich alle, sind durchgehend gutgelaunt. Honorig und sittsam, wie es das Königlich Bayerische Amtsgericht immer eingefordert hat. Wir pfeifen den Defiliermarsch auf diesen ollen Länderfinanzausgleich.
Hamburg muss Freistaat werden, und wenn das erreicht ist, dann braucht man auch keine Allianzen mehr. Dann sind die Medien wieder dazu da, die Politik zu kontrollieren und zu kritisieren, die Handelskammer und die Gewerkschaften streiten um Arbeitsplätze und machen wieder Strukturpolitik, und die Kirchen kümmern sich ums Seelenheil. Tu Felix Bavaria.
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