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Vom Volkswohnen

Mobile Möbel: Der Designer-Pool „garage blau“ verbindet Sachlichkeit und Flexibilität mit spielerischem Design

von MICHAEL KASISKE

Bei einem pathetischen Begriff wie „Volkswohnung“ stellt sich Gänsehaut ein. Nur wenige werden sich an die Ausstellung „Volkswohnung Bauhaus“ 1929 in Leipzig erinnern. In seiner kurzen Ära als Direktor des Bauhauses präsentierte der Schweizer Architekt Hannes Meyer dort Mobiliar, dessen Form sich an Gebrauch, Beweglichkeit und niedrigen Fertigungskosten orientierte, mit einfachen Verbindungen und aus gängigen Materialien angefertigt.

Der Berliner Produzent „garage blau“ knüpft an diese Intentionen des Bauhauses an: Mobilität und Nachhaltigkeit. Der Pool aus sechs Designern besteht seit 1995, die Vertriebsgesellschaft wurde 1997 gegründet. „garage“ spielt auf die legendäre Keimzelle amerikanischer Computerfreaks an und soll die Kontinuität der Entwurfsintelligenz zum Ausdruck bringen; blau war die Eingangstür der ersten Werkstatträume.

„Der nächste Wohnungswechsel steht mal wieder bevor“, warnt der Geschäftsführer und Designer Hauke Murken und ergänzt, „mit dem Regal Folder‚ ist das freilich kein Umstand.“ Ein 1,25 Meter hohes Element mit drei mal drei Fächern, wiegt etwa 23 Kilogramm und kann – zusammengefaltet nur noch etwa 16 Zentimeter hoch – bequem unter den Arm geklemmt werden. Angesichts eines durchschnittlichen Wohnungswechsels in Berlin von einmal pro Jahr kein zu vernachlässigendes Kriterium. Durch Details wie einzeln verstellbare Böden oder die separate Justierung der Füße zum Ausgleich unebener Böden kann das Regal an unterschiedliche Ansprüche und Situationen anpasst werden.

„Urbane Möbel“, so sind die Produkte denn auch im Pressetext der „garage blau“ bezeichnet. Komprimierbar, flexibel und gleichzeitig solide sollen die angebotenen Strukturen sein. Diese Haltung geht gegen die aktuelle Mode, diesen Eindruck gewann Murken zumindest bei der Möbelmesse im Januar in Köln: „Inmitten virtueller Welten wächst offensichtlich das widersinnige Bedürfnisse nach schweren Möbeln.“ Modernes Mobilar, wie bereits Hannes Meyer erkannte, muss hingegen leicht und unabhängig vom Raum gestellt werden können.

Das Transitorische schlägt sich bei garage blau auch in der Minimierung des Gewichts nieder, alle Möbel sollen problemlos im Flugzeug mitreisen können. Die im Gespräch genannten Vorbilder wie Frei Otto und Buckminster Fuller verweisen auf zwei Pioniere im Leichtbau mit präfabrizierten Teilen. Beide betrachteten eine Aufgabe weniger von ästhetischen Seite, sondern gaben funktionalen Anforderungen und ökonomischen Materialien den Vorrang. Frei Otto ist ebenso Vorbild für Umweltaspekte.

Bei dem von Jakob Peters entworfenen Regal „abstract plane“, wird das Thema Leichtbau zur Poesie: Überdeutlich sichtbare Steckverbindung halten hauchdünne Platten aus Birkenholz. Die fünf Regalböden, die Ständer und die aussteifenden Träger wiegen zusammen nur 3 Kilogramm, können aber bis zu 80 Kilo Gewicht tragen. Der Vorzug perfekter industrieller Fertigung gegenüber teurer Handarbeit ist für die Designer keine Frage. Exotische Hölzer werden nicht verwendet.

Da Massivhölzer nicht maschinell verarbeitet werden können, entschied man sich für Birkensperrholz. Finnische Birke ist ein hochwertiger Rohstoff, der traditionell für die Möbelherstellung verwendet wird. Das Holz ist sehr hell und besitzt eine unaufdringliche Maserung. Die Sperrholzplatten lassen sich allseitig schneiden, fräsen und bohren, ohne präzise Kanten und Ecken einzubüßen.

Computergesteuerte Formfräsungen wie bei Murkens Stuhl „Oskar“, dessen Seitenteile den optimalen Kräfteverlauf nachvollziehen, lassen sich mit diesem Material exakt realisieren. Ungewohnt sind die bei „Folder“ oder dem Tisch „Gilda“ lieferbaren Varianten mit farbigen Platten, die eigentlich für Betonschalungen hergestellt werden. Die Wahl auf die wasserfest verleimten Hölzer fiel hier wegen ihres ästhetischen Reizes und ihrer extremen Belastbarkeit.

Ein Neuzugang in der Kollektion: „soft light“ ist ein anschmiegsames Objekt, das am oder sogar im Bett liegt. Den Designer Flip Sellin haben offensichtlich die in den 70er-Jahren geläufigen Skulpturen von Alltagsgegenständen inspiriert. Eine kleine Energiesparleuchte drückt sich ins angeheftete Kissen und strahlt, vom weißen Stoff reflektiert, für den Lesenden. Eine Ausreißerin in der Kollektion ist ebenso „Emma Steel“, ein Schnittmuster in Edelstahl, aus dem fünf Doppelhaken mit der Hand hervorgebogen werden können und die Grafik zu einer Garderobe verwandeln.

Beide Gegenstände entziehen sich wie auch die Möbel einem plumpen Repräsentationsdünkel zugunsten einer hinsichtlich Anwendung, Material und Form präzisen Gestaltung, aber auch dem Dogma einer „Volkswohnung“, da trotz nüchternem Ausdruck ein spielerischer Anteil unverkennbar ist.

Showroom und Verkauf: Strelitzer Straße 2, 10115 Berlin, Tel. (0 30) 4 49 94 54, Fax: (0 30) 4 49 94 54, Internet: www.garageblau.de

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