: „Wer nicht will, tuteinfach nicht mit“
Abgeordnete sagen, sie trügen lieber einen Zentner Erde auf den Watzmann, als anseinem Kunstprojekt teilzunehmen. Haacke rät zu mehr Gelassenheit in der Diskussion
Interview HARALD FRICKE
taz: Herr Haacke, Sie haben als politisch engagierter Künstler bereits sehr erfolgreich auf der documenta und zur Biennale in Venedig ausgestellt. Warum wollen Sie Ihre Arbeit jetzt ausgerechnet im Reichstag sehen?
Hans Haacke: Als ich im Frühjahr 1998 vom Kunstbeirat des Bundestages gebeten wurde, ein Kunst-am-Bau-Projekt für das Reichstagsgebäude zu entwickeln, habe ich mir unter anderem überlegen müssen, ob ich mit den zu erwartenden Verdächtigungen, ich sei zum Hof- und Staatskünstler mutiert, leben wollte. Ich habe die Einladung schließlich angenommen, weil ich mich zur parlamentarischen Demokratie bekenne und bereit bin, das auch im Paralmentsgebäude mit einer Arbeit zu bekunden.
Das Parlament ist allerdings ein Ort, wo nicht über Ästhetik philosophiert wird, sondern konkrete Entscheidungen fallen. Haben Sie den Auftrag akzeptiert, um das Verhältnis zwischen Kunst und Politik zu prüfen?
Dass der Bundestag beschlossen hat, sein Haus mit zeitgenössischer Kunst zu bestücken, ist bemerkenswert, zumal sie im Zweifelsfalle dem eher konservativen Kunstverständnis der Mehrzahl der Wähler nicht entspricht. Im alten Bundestag blieb es bei einer bloßen „Ausschmückung“. Versatzstücke zur Verschönerung des Hauses hat der Kunstbeirat von mir nicht erhofft. Im Gegenteil. Man erwartete etwas, was auf die Geschichte des Hauses und die Funktion des Bundestages Bezug nimmt.
Die Folgen sind unter anderem wütende Kommentare in der FAZ und eine Unterschriftenkampagne von Abgeordneten gegen ihr Projekt „Der Bevölkerung“. Dabei werden Sie auch inhaltlich von zwei Seiten angefeindet: als Verfassungsfeind und als dröger Verwaltungsästhet, der die Menschen zur Mitarbeit nötigt.
Im Grundgesetz steht: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Es kann in der Bundesrepublik also keine verfassungswidrigen Kunstwerke geben. Im Übrigen gebietet das Grundgesetz, dass „niemand“ wegen seiner Abstammung, seiner Rasse und Sprache, seiner Heimat und Herkunft und seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Das betrifft alle im Gültigkeitsbereich des Grundgesetzes Lebenden. Das ist die Bevölkerung der Bundesrepublik.
Der Vorwurf der „Nötigung“ ist mir unverständlich. Die Teilnahme an der von mir vorgeschlagenen symbolischen Handlung, aus den Wahlkreisen Erde zum Sitz des Parlaments zu bringen, ist freiwillig. Wie sollte ich die Abgeordneten denn zwingen, wenn das wirklich meine Absicht wäre?
In Ihren Arbeiten setzen Sie sich mit den Verflechtungen eines immer größer werdenden Apparats von Firmen und Unternehmen auseinander. Dieser Konflikt ist meist negativ konnotiert: Deutsche Bank und Apartheid, Marlboro und Jesse Helms. Dagegen ist „Der Bevölkerung“ ein sehr zutrauliches Bekenntnis zur „Firma Deutschland“!
Ja. Deshalb war ich so verblüfft, in einem Leitartikel von Karl Feldmeyer auf der ersten Seite der FAZ zu lesen, ich hätte „tiefe Aversionen“ gegenüber den Deutschen. Es wurde auch kolportiert, ich wollte das deutsche Volk abschaffen oder ihm zumindest sein Parlament wegnehmen.
Hängt das Reichstagsprojekt denn tatsächlich mit älteren Arbeiten wie „Germania“ zusammen?
Beide haben Deutschland zum Thema und beide sind site-specific, das heißt, sie haben mit dem Ort zu tun, für den sie konzipiert wurden. Nur dort sind sie sinnvoll. Die meisten Arbeiten von mir haben diesen ortsspezifischen Charakter. Anscheinend kann ich nicht aus meiner Haut heraus.
Weil es um Haltung geht?
Vielleicht auch das. Aber wie andere Künstler habe ich eine Vergangenheit, die sich unter anderem in meiner Arbeit von mehr als 30 Jahren manifestiert. Man programmiert sich sozusagen selber. Ich tauge nicht für ein Spiel, das man mal so und mal so spielt und als Folge markt- und karriereorientierter Schachzügen zu verstehen wäre.
Nun geraten Sie doppelt unter Druck. Auch in New York hat sich die Arbeit um Bürgermeister Giuliani zum politischen Skandal ausgeweitet. Was ist passiert?
Um sich bei katholischen Wählern anzubiedern, hat der New Yorker Bürgermeister im September vergangenen Jahres das Brooklyn Museum massiv unter Druck gesetzt. Weil das Museum nicht bereit war, ein angeblich die Madonna beleidigendes Bild des schwarzen britischen Künstlers Chris Ofili aus der „Sensation“-Ausstellung abzuhängen, hatte Giuliani dem Museum den monatlichen Zuschuss gesperrt. Darüber hinaus wollte er das Kuratorium durch eines seiner Wahl ersetzen. Und er drohte, dem Museum das der Stadt New York gehörende Gebäude wegzunehmen. Das Museum verklagte Giuliani wegen Verfassungsbruch. Ein Bundesgericht entschied, der Bürgermeister habe in der Tat das First Amendment der amerikanischen Verfassung, in dem die freie Meinungsäußerung garantiert ist, gravierend verletzt. Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass Giuliani solche verfassungsrechtlichen Prozesse verloren hat. Die Prozesskosten werden leider nicht von ihm persönlich, sondern aus der Staatskasse, also von den Steuerzahlern bezahlt.
Meine Arbeit hat den seit 1989 in Amerika entbrannten „Kulturkampf“ zum Thema, eine Kampagne konservativer Politiker und südstaatlicher Fundamentalisten gegen die Freiheit der Kunst. Amerikanische Kommentatoren sehen Parallelen zur Kampagne gegen die „entartete Kunst“ im Deutschland der Nazizeit. In meiner Arbeit verbinden sich – zusammen mit vielen anderen Elementen – in Fraktur gesetzte kunst- und verfassungsfeindliche Zitate von Giuliani, Senator Jesse Helms, dem Evangelisten Pat Robertson und dem erzkonservativen Präsidentschaftskandidaten Pat Buchanan. Giuliani war nicht begeistert, als er vor der Ausstellungseröffnung davon Wind bekam. Obgleich niemand die Arbeit fertig gesehen hatte, wurde vorbeugend gestreut, ich „trivialisiere den Holocaust“.
Obwohl diese Unterstellung Ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus total verzerrt?
Es war eine gefährliche und für mich persönlich äußerst unangenehme Beschuldigung. Glücklicherweise ist sie in der Öffentlichkeit inzwischen als völlig absurd erkannt worden. Es ging den Parteigängern Giulianis darum, die Aufmerksamkeit von seinen nicht zu verteidigenden Worten und Handlungen abzulenken und mich zum Tagesthema zu machen. Es war aber auch der Versuch, bei gutgläubigen jüdischen Wählern den Eindruck zu erwecken, Giuliani verteidige das Andenken der Holocaust-Opfer. In der Tat war er es, der den Holocaust für seinen Wahlkampf gegen Hillary Clinton instrumentalisierte.
In Berlin wird sich ein Parlament mit Ihrer Kunst beschäftigen, in New York reagieren Privatpersonen und ziehen ihre finanzielle Unterstützung für das Whitney Museum zurück. Das sind zwei sehr verschiedene Arten von Lobbyismus.
Aus glaubwürdiger Quelle höre ich, dass die Spenden von Marylou Whitney, die sich aus dem Gönnerkreis des Museums verabschiedet hat, jährlich nur 5.000 Dollar ausmachen. Ein anderer Zweig der Whitney-Familie hat sich dagegen energisch für die Ausstellung meiner Arbeit eingesetzt.
Giuliani instrumentalisiertden Holocaust, nicht ich
Es ist dieser Zweig, der im Kuratorium aktiv ist und sich auch entsprechend finanziell einsetzt. Der konservative Flügel des Whitney-Clans gehört zu den Sympathisanten Giulianis. Seine Zuwendungen sollen in Zukunft einem Museum in Cody im Staate Wyoming zugute kommen. Cody ist die Heimat von Buffalo Bill.
In Europa würde Ihnen eine solche Missdeutung der Arbeit nicht passieren – hier kennt man sich mit der Anwendung von Symbolen besser aus.
Da bin ich nicht so sicher.
Nun, die Kritiker, das Publikum reagieren hier gelassener, überhaupt die Art, wie differenziert wird. Dabei ist es eher schon problematisch, wie Sie bei aller inhaltlichen Ambivalenz so eindeutige Zeichen mit Signalwirkung benutzen, um zu polarisieren.
Woran denken Sie?
Sie haben doch für die „Deutschlandbilder“-Ausstellung den Innenhof des Berliner Martin-Gropius-Baus sehr symbolträchtig mit Autobahnfragmenten zugebaut.
Das war, wie ich meine, keine polarisierende Arbeit. Sie bewegt sich in einem weiten Assoziationsfeld. Unter anderem bezog sie sich auf den Ausstellungsort und den Ausstellungstitel „Deutschlandbilder“. Hitler wird oft und naiv die Erfindung der Autobahn zugeschrieben, obgleich sie schon vor seiner Machtübernahme in der Planung war. Nach dem Krieg war die Autobahn eine für Berlin lebenswichtige Verbindung mit Westdeutschland. Der Gropius-Bau ist westöstlich ausgerichtet. Die Himmelsrichtungen sind im Lichthof von Kartuschen abzulesen. Meine schallschluckende Betonplatte lag in dieser Achse. Die Ruine des Gebäudes sollte in den Siebzigerjahren abgerissen werden, um für eine Schnellstraße entlang der Mauer Platz zu machen.
Nicht nur Politiker tun sichschwer mit moderner Kunst
Der Titel meiner Arbeit war „Beton“ und nicht etwa „Autobahn“. Die Mauer bestand aus Betonsegmenten. Alles Mögliche wird „zubetoniert“. Wir alle kennen Betonköpfe. Meine Installation lebte auch von dem Gegensatz zwischen der feinen, detailfreudigen Architektur des Gropius-Baus und der Brutalität dieses Materials. Wie brutal der Werkstoff sein kann, fällt im Gegenüber des neuen Kanzleramts, der Abgeordnetenhäuser einerseits und des Reichstagsgebäudes andererseits unangenehm auf. Das Monstrum von Wallot wirkt auf einmal grazil.
Was jetzt mit Ihrem Reichstagsprojekt an Streit entstanden ist, hängt auch mit der neuen Art zusammen, wie Kultur immer mehr zu einem politischen Verwaltungsakt wird: Bereits beim Holocaust-Mahnmal wurde mehr über Gremien und Fronten berichtet als über das Anliegen der Künstler. Ist das nicht Ironie für einen politischen Künstler?
Nicht nur Politiker tun sich schwer mit zeitgenössischer Kunst. Wenn Frau Vollmer Gerhard Richters Arbeit im Reichstagsgebäude als „Scharlatanerie“ verleumdet, komme ich mit ihrer „Biokitsch“-Beschimpfung eigentlich ganz gut weg. Ein Kitschier ist doch nur ein bemitleidenswerter Trottel. Anders als ein Scharlatan ist er moralisch nicht verwerflich. Eine sachliche Diskussion ist aber nicht mehr möglich.
Ich hoffe, die Abgeordneten verstehen, dass sie allein über die Verwirklichung meines künstlerischen Konzepts abstimmen und nicht, ob sie persönlich Erde aus ihrem Wahlkreis nach Berlin bringen wollen oder nicht. Die Beteiligung an dieser symbolischen Aktion, im Paralmentsgebäude gemeinsam eine die Regionen des Landes repräsentierende Minirepublik entstehen zu lassen, ist ja freiwillig. Wer nicht will, tut einfach nicht mit. Dafür braucht man keine Abstimmung des Bundestages.
Wieso wurde die Idee der freiwilligen Mitarbeit immer ignoriert?
Es gibt in Redaktionen und Parteien leider Leute, die nicht an einer sachlichen Diskussion meines Entwurfs interessiert sind, sondern durch falsche Informationen, durch aus dem Zusammenhang gerissene und deshalb missverständliche Zitate und diverse andere Tricks seine Realisation um jeden Preis verhindern wollen. Was dahinter steckt, darüber kann man spekulieren.
Einige sind an sachlicherDiskussion nicht interessiert
Der CDU-Abgeordnete Kauder, der einzige im Kunstbeirat, der am 2. November gegen meinen Entwurf gestimmt hat, war anwesend, als ich dem Kunstbeirat ausdrücklich erklärt habe, dass eine der demokratischen Zusammenarbeit für das Gemeinwohl entsprechende symbolische Handlung Gleicher, wie ich sie vorschlage, natürlich freiwillig sein muss. Entsprechendes habe ich auch immer wieder in Interviews gesagt.
In „Freier Austausch“, Ihrem als Buch veröffentlichten Gespräch mit dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, sagen Sie, das Beste, was einem Kunstwerk passieren könne, sei die totale Vereinnahmung. Dann sind Sie mit der Arbeit für den Reichstag doch eigentlich am Ziel?
Den Eindruck habe ich im Moment noch nicht. Der CSU-Abgeordnete Ramsauer hat verkündet, er wolle sich nicht von mir „vereinnahmen“ lassen und lieber Erde auf den Watzmann als nach Berlin tragen. Bekanntlich wird mein Projekt aber weder in der CDU noch in der CSU einhellig abgelehnt. Das Meinungsbild kann sich bis zur Abstimmung in der einen oder anderen Richtung verändern.
Vielleicht findet es die Mehrzahl der CSU-Abgeordneten – und auch Herr Ramsauer – in ein paar Jahren ganz schön, wenn es im Reichstagsgebäude ein paar Pflanzen gibt, und sie freunden sich mit der Bevölkerung der Bundesrepublik an. Im Rückblick ist es of schwer zu verstehen, worüber sich einmal die Gemüter erhitzt haben. Das gilt, wie wir wissen, auch für künstlerische Arbeiten.
In New York hat Hans Magnus Enzensberger in einem Vortrag vor vielen Jahren Kultur einmal mit einer Alka-Seltzer-Tablette, einem in Amerika populären Magenberuhigungsmittel, verglichen. Man löst die Tablette in einem Glas Wasser auf. Das Wasser sieht danach so aus wie vorher. Keinerlei Verfärbung oder Trübung ist zu beobachten. Und dennoch, wenn man das Wasser trinkt, geht es einem besser.
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