: Elián als Wahlkampfthema
US-Vizepräsident Al Gore hat sich mit seiner Einmischung in den Fall des kubanischen Flüchtlingsjungen weit vorgewagt. Jetzt gerät er unter Druck
WASHINGTON dpa/taz ■ US-Vizepräsident Al Gore ist wegen seiner plötzlichen Kehrtwende im Fall des kubanischen Flüchtlingsjungen Elián González unter erheblichen politischen Druck geraten. Gore solle seine Forderung nach einer unbefristeten Aufenthaltsbewilligung für den Jungen und seinen Vater nun gegenüber Präsident Bill Clinton und seiner eigenen Regierung auch durchsetzen. Das forderte sein Rivale um die US-Präsidentschaft, der Republikaner George Bush. „Dann werden wir ja sehen, wie viel Einfluss der Vizepräsident hat.“
Politiker von Gores Demokratischer Partei äußerten sich überrascht, enttäuscht oder empört über den Sinneswandel ihres Präsidentschaftskandidaten. Er habe seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt, um die Stimmen der Exilkubaner in Florida zu gewinnen, erklärten Abgeordnete wie Charles Rangel aus New York. „Das ist durchsichtig, und das wird ihm schaden.“
Die Exilkubaner wählten ohnehin überwiegend republikanisch, während Gore mit seiner neuen Haltung Anhänger unter den Schwarzen und Latinos verärgert habe. Die von Gore unterstützte Initiative für ein Sondergesetz zu Gunsten der González-Familie habe im Kongress im Übrigen keine Aussicht auf eine Mehrheit. Clinton und die Einwanderungsbehörde wollen, dass der Junge so schnell wie möglich zu seinem Vater zurückkehrt. Dagegen haben die Angehörigen in Miami geklagt. Die Mutter war bei der Flucht übers Meer ertrunken.
Unterdessen ist weiter unklar, ob Eliáns Vater Juan Miguel González in die USA kommt, um das Sorgerecht für seinen Sohn wahrzunehmen und ihn nach einem Urteil mit nach Kuba zu nehmen. Er werde nur in Begleitung von 30 Kubanern, darunter Familienmitglieder, Klassenkameraden und Offizielle, in die USA reisen, wurde in Havanna erklärt.
Für eine solch große Gruppe werde es aber keine Visa geben, hieß es aus Washington. Familienanwälte in Miami erklärten, unter solchen Umständen würden sie Elián auf keinen Fall seinem Vater übergeben. Er sei nur allein willkommen. Das Green-Card-Angebot wies der Vater als Zumutung zurück. In einem offenen Brief an die Fraktionschefs im US-Kongress schrieb er in der Granma, dem Zentralorgan der kubanischen KP: „Es überrascht uns offen gesagt sehr, dass irgendjemand so eine Entscheidung ohne unsere Kenntnis treffen kann, und ohne uns überhaupt nur zu konsultieren.“
Derweil hat die US-Einwanderungsbehörde INS ihr Ultimatum an die in Miami lebenden Verwandten Eliáns bis Dienstag verlängert. Bis dahin sollen sie erklären, den Jungen im Falle einer entsprechenden Gerichtsentscheidung auch tatsächlich herauszugeben und nach Kuba ausreisen zu lassen. Das hatte der Onkel des Jungen, bei dem Elián wohnt, bislang abgelehnt. Sollte er bei seiner Haltung bleiben, droht die INS, Elián augenblicklich den Aufenthaltsstatus zu entziehen und ihn sofort zurückzuschicken.
Innerhalb der kubanischen Exilgemeinde in Miami fragen sich viele politische Anti-Castro-Aktivisten allmählich, ob der Kampf um Elián überhaupt zu gewinnen ist. „Es gewinnt immer Fidel. Wenn Elián hier bleibt, kann er gegen eine weitere Untat des Imperialismus wettern. Wenn Elián zu seinem Vater nach Kuba zurückkehrt, wird es ein großer Sieg des kubanischen Volkes sein“, analysiert Lisandro Pérez von der Internationalen Universität in Florida das Dilemma der Exilkubaner.
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Zitat:„Es überrascht uns offen gesagt sehr, dass jemand so eine Entscheidung ohne unsere Kenntnis treffen kann, und ohne uns überhaupt nur zu konsultieren.“
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