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Kriegserklärung an „Verräter“

Alles was deutsch ist, zieht bei den Rover-Arbeitern und in Birmingham unbändigen Hass auf sich. Wer BMW fährt, gilt als „Abschaum“

aus Birmingham RALF SOTSCHECK

„Lasst uns nicht deutschfeindlich sein“, bittet der Labour-Abgeordnete Richard Burden. Die Menge ist anderer Meinung, Burden wird ausgebuht. „Zur Hölle mit den Krauts“, ruft ihm einer zu, und die Umstehenden jubeln. Burdens Wahlkreis ist Longbridge, ein Vorort von Birmingham, und dort steht das Rover-Werk, Großbritanniens größte Automobilfabrik. Die Eigentümerin, BMW, will das Werk an Alchemy verkaufen, eine Abwickelfirma, die in Longbridge MG-Sportwagen für einen Nischenmarkt produzieren will. Dafür benötigen sie aber höchstens 1.000 der 9.000 Rover-Arbeiter. Darüber hinaus stehen bis zu 40.000 Jobs in der Zulieferindustrie auf der Kippe. Kevin Morley, der Berater von Alchemy, freut sich, dass seine Firma eine Menge Profit machen könne, und er klingt wie ein Alchemist aus dem Mittelalter, der aus Altmetall Gold machen will.

50.000 Menschen marschieren an diesem Samstag durch Birmingham, um gegen BMW zu demonstrieren. Die Gewerkschaften haben mit einer Viertelmillion gerechnet, und so bleiben zehntausende Plakate unter der Autobahnbrücke an der Jennens Road liegen, als die Demo beginnt. „BMW ueber alles“, steht auf manchen, und darunter, etwas kryptisch: „Wenn ihr das zulasst, sind eure Kinder die Nächsten.“

„Deportiert BMW!“

Auf anderen ist das BMW-Emblem durchgestrichen: „No go.“ Einer verlangt auf seinem Banner: „Deportiert BMW!“ Er sei stolz darauf, ein „Brummie“, wie sich die Birminghamer nennen, zu sein. Wenn ein BMW auf der Gegenfahrbahn herannaht, wird der Fahrer mit Beschimpfungen überhäuft, Rover-Fahrer werden mit Applaus begrüßt.

Aber es gibt eben zu wenige davon. In Großbritannien ist der Absatz im vorigen Jahr um ein Viertel gesunken. Die Welt berichtete, dass 11.000 BMW-Arbeiter einen Rover gekauft hätten. BMW-Angestellte können einen Rover jedoch bereits nach zwölf Monaten Firmenzugehörigkeit günstig leasen, die Rover-Arbeiter müssen darauf bis zu 25 Jahre warten. Außerdem produziert kein Autowerk in Europa weniger Autos pro Stunde als Longbridge. Das liegt nicht an der Faulheit der dort Beschäftigten, sondern am Design: Die Autos sind kompliziert und schwer zusammenzubauen. Hinzu kommt die überbewertete britische Währung, die nicht nur Rover, sondern alle britischen Exporteure in die Verzweiflung treibt. Trotz Neuinvestitionen von 2,5 Milliarden Mark rutschte Rover immer tiefer in die roten Zahlen, täglich um rund 2 Millionen Pfund (etwa 6,4 Mio. Mark).

Auf der Abschlusskundgebung fordert Bill Morris, der Gewerkschaftsboss, die Bank von England solle den Wechselkurs herabsetzen. Als Rover 1994 an BMW ging, stand das Pfund bei 2,40 Mark, inzwischen ist es bei 3,20 Mark angelangt. Mit dem Wechselkurs hat auch Honda am Samstag seine Entscheidung begründet, die Produktion im Werk Swindon auf die Hälfte zu senken. Entlassungen soll es nicht geben – noch nicht. Vor einer Woche hatte die britische Regierung das Werk als Musterbeispiel für die erfolgreiche britische Autoindustrie dargestellt. Automobilbauer Ford erwägt, die Produktion des Fiesta von Dagenham nach Köln zu verlegen.

An diesem Samstag geht es aber um BMW und die Deutschen. Die Boulevardzeitungen hatten die Stimmung angeheizt. Die Lokalpresse streute Gerüchte aus, dass BMW das Rover-Automuseum im Wert von hundert Millionen Mark nach Bayern verfrachten wolle. Jeremy Clarkson schrieb in der Sun, die fast zehn Millionen Leser hat: „Das ganze Übernahmegeschäft ist ein riesiger BMW-Egotrip, zum Teufel mit den 50.000 Brummies, die ihre Hypotheken nicht mehr zahlen können und mit den Rumänen an den Straßenecken darum streiten müssen, wer die Windschutzscheiben waschen darf. Ich wollte einen der neuen BMW Z 8 kaufen, aber ich würde ihn jetzt nicht mal nehmen, wenn man meine Brustwarzen an das Stromnetz anschließen würde.“

Wenn es nach dem Gewerkschaftsführer Ken Jackson geht, darf auch der englischste aller Engländer, Geheimagent James Bond, in künftigen Filmen keinen Z 8 mehr fahren, sondern ein „anständiges britisches Auto“. Und UB 40, die Rockband aus Birmingham, die bei der Demonstration an diesem Tag vorneweg marschiert, verspricht, den BMW der Band so schnell wie möglich zu verkaufen und sich stattdessen zwei Rover anzuschaffen.

Grußbotschaft von BMW-Arbeitern

Als die drei Rover-Modelle und die Kapelle in weinroten Rover-Jacken im Cannon Hill Park neben dem traditionsreichen Cricket-Club Warwickshire angekommen sind, hat der Nieselregen endlich aufgehört. Tony Woodley, der Gewerkschaftsunterhändler für die Autoindustrie, bezichtigt BMW auf der Abschlusskundgebung der Industriesabotage an Rover, den Midlands und an Großbritannien. Als besondere Obszönität bezeichnet er die Tatsache, dass deutsche Gewerkschaftsbosse an den Verkaufsverhandlungen teilgenommen und sie abgesegnet haben. Kurz darauf muss er sich korrigieren: „Es ist kaum zu glauben. Wir dachten, dass ganz Deutschland hinter BMW stehe, aber hier ist eine Grußbotschaft von BMW-Arbeitern in Berlin, die sich mit uns solidarisch erklären.“ Hans Köbrick, der aus Berlin angereist ist, hat sie überbracht: „Ich will meine Unterstützung für Longbridge zeigen, denn ich könnte von der nächsten Krise betroffen sein.“

Ken Jackson hält eine „zweite industrielle Revolution“ für erforderlich, sonst seien Birmingham und die Midlands dem Untergang geweiht. Neben der Autoindustrie ist auch die Textilbranche, das zweite Standbein der Region, stark gefährdet. Seit 1981 sind in den Midlands 250.000 Industriejobs verloren gegangen. Jackson verspricht, dass die Rover-Demonstration erst der Auftakt ist. „Als Nächstes marschieren wir durch London.“ Er will BMW zum Paria der Autowelt machen und ruft zum Boykott der Luxuskarossen auf: „Wir haben Macht. Denkt daran, sie wollen uns auch künftig ihre Autos verkaufen.“ 71.000 Stück waren es im vergangenen Jahr.

Von der Spitze der regierenden Labour Party lässt sich an diesem Tag niemand sehen, und das ist auch besser so. Die Rover-Arbeiter werfen der Regierung vor, dass sie tatenlos zusehe, wie ihr Werk demontiert wird. Sie verlangen die erneute Verstaatlichung Rovers. Industrieminister Stephen Byers, der BMW als „unehrlich und unehrenhaft“ bezeichnet hat, glaubt man nicht mehr, dass BMW ihn über die Verkaufsabsichten im Unklaren gelassen hat. Die Abgeordnete Gisela Stuart hat doppeltes Pech: Sie ist nicht nur Labour-Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, sondern auch Deutsche, eine Bauerstochter aus Bayern, der Heimat von BMW, wie die Lokalpresse betont. Als Stuart die Bühne im Cannon Hill Park betritt, wird sie ausgepfiffen.

So viel Hass auf die Deutschen hat es zuletzt bei der Fußball-Europameisterschaft 1996 gegeben, als England gegen Deutschland verlor. Auch damals erinnerte die Sprache an den Krieg. Diesmal steht auf einem Plakat: „Wenn es hart auf hart geht, rennt der Gerry weg“ – so hießen im Zweiten Weltkrieg die deutschen Soldaten.

George Purcell, dem das Plakat gehört, hat seinen alten Austin Seven auf die Demonstration mitgebracht. Der Kleinstlieferwagen, Baujahr 1939, gehörte früher einem Tabakhändler und hat noch die Original-Inneneinrichtung: schmale Holzregale mit Zigarettenmarken, die es längst nicht mehr gibt, Holzpfeifen, Streichhölzer, Pfefferminzdrops – alles Vorkriegsware. Purcell, 56, hat aber auch andere Dinge dabei, die nicht zur Ausstattung eines Tabakhändlers gehören. Auf der Ladefläche liegt die Birmingham Post vom April 1945. „Deutschland ergibt sich“, lautet die Schlagzeile. An der Windschutzscheibe des alten Austin klebt ein Metallschild mit der Aufschrift: „Hitler gibt keine Vorwarnung. Vergesst nie die Gasmaske!“ Eine Gasmaske hat Purcell auch dabei.

„Der Austin Seven ist das erste Auto, das BMW verkauft hat“, sagt er. „Austin schickte die Einzelteile an BMW nach Bayern, wo das Fahrzeug zusammengebaut wurde, auf den Kotflügel klebten sie das blauweiße Wappen.“ Das hat er vorsichtshalber abmontiert. „Ich glaube, wir sind zu europäisch geworden“, klagt er. „So würde BMW nicht mit deutschen Arbeitern umspringen.“

Rob Sherrey konnte nicht zur Demonstration gehen, er musste arbeiten. „Solange ich noch arbeiten kann“, sagt er. Der 28-Jährige ist Manager der Motorradabteilung von Clarks, einem der größten Rover-Händler Britanniens, aber die Motorräder sind von BMW. Die Filiale, ein moderner weißer Flachbau, liegt in Sichtweite des Longbridge-Werkes. Sherrey sitzt in seinem winzigen Büro und ist ratlos. „BMW musste eine ökonomische Entscheidung treffen. Ich verstehe ja, dass die Rover-Leute frustriert sind, aber warum lassen sie es an uns aus?“

„Deutsche Wichser“

Unbekannte beschmierten in der vergangenen Woche das BMW-Emblem vor dem Laden mit dem Wort „Abschaum“. Als sie auch noch die Fenster besprühen wollten, wurden sie vom Nachtwächter gestört. „Eine junge Frau kam neulich in den Laden und nannte mich einen Verräter“, sagt Sherrey. „Andauernd fahren Leute vorbei und beschimpfen uns als deutsche Wichser und Ähnliches. Dabei habe ich genauso viel zu verlieren wie sie. Wenn Rover dichtmacht, müssen auch wir schließen. Jetzt hassen sie BMW und die Deutschen, aber stattdessen hätten sie lieber vorher Rover kaufen sollen.“

Noch hat niemand bei Sherrey seinen Auftrag für ein Motorrad storniert, anders als beim größten BMW-Vertragshändler Rydale. Bei der eleganten Filiale im vornehmen Juwelierviertel sind 23 Abbestellungen eingegangen, fünf Autos wurden beschädigt, Jugendliche warfen die Schaufensterscheibe ein, und ein Angestellter entging nur knapp einer Tracht Prügel, als er beim Tanken durch seinen Overall als BMW-Mann ausgemacht wurde. „Irgendwann wird sich die Sache wieder beruhigen“, hofft Sherrey. „Wir kaufen schließlich auch japanische Autos nach allem, was uns die Japaner im Krieg angetan haben.“

Mandy Eula Smith gibt sich mit dem Boykott von BMW nicht zufrieden, sie hat sämtliche deutschen Produkte aus ihrer Kneipe in Lye, einem Vorort Birminghams, verbannt. Das „Bull’s Head“ ist spartanisch eingerichtet, ein paar rote Bänke an der Wand, vier Tischchen, mitten im Raum ein Billardtisch. Aus einem Großfernseher, aus der Musikbox und aus dem Hinterzimmer, wo jemand Geburtstag feiert, dröhnt laute Musik, die Gäste stört es nicht. Für die Fotografen hat die 36-jährige Wirtin eine Flasche Holsten in den Ausguss gekippt, während sie mit der anderen Hand einen Union Jack schwenkt. „Was BMW getan hat, ist falsch, und meine Gäste begrüßen den Boykott deutscher Produkte“, sagt sie. Die drei Männer an der Theke nicken. „Die Spanier stehlen die Fische aus unseren Gewässern, die Franzosen verschmähen unser Rindfleisch, und nun schubsen uns auch noch die Deutschen herum.“

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